Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
Gegend. Hier treiben sich manchmal finstere Gestalten rum.«
»Ja«, sagte sie und lächelte mühsam. Ihr zitterten die Knie vor Erleichterung. »Ich weiß.«
Erst als sie zu Hause war, wurde Cynthia wieder ruhiger. Während sie sich für die Nacht fertig machte, schämte sie sich dafür, dass sie sich so in ihre Ängste hineingesteigert hatte.
Am nächsten Morgen erfuhr sie von der Leiche.
14
Am Anfang kamen mir die Tage viel zu lang vor, so ganz ohne Schlaf. Aber nach ein paar Wochen wurde es uns mehr oder weniger zur Routine. Das Schönste für mich war unser Spaziergang: Jede Nacht um vier gingen Katrina und ich Händchen haltend den Treidelpfad entlang. Es war immer sehr still, vor allem, wenn wir die Stelle erreichten, wo der Kanal sich von der Straße entfernt. Danach kamen nur noch verlassene Parks, geschlossene Pubs und Häuser, in denen kein Licht mehr brannte. Die reinste Geisterstadt, sagte Katrina. Aber für sie war das nicht gruselig, sondern schön.
»Ich liebe die Dunkelheit«, schwärmte sie eines Nachts, als ich das Schlafen etwa seit einem Monat eingestellt hatte. Sie blieb mitten auf dem Treidelpfad stehen, legte den Kopf in den Nacken und lächelte zum Himmel empor. »Ich liebe es, wie sie alles schwarz, weiß und grau werden lässt. So als wäre man in einem alten Spielfilm.«
»Ja«, sagte ich, denn die Idee gefiel mir. »In einem Liebesfilm. Und wir sind die Hauptdarsteller.«
Sie drückte meine Hand und ließ sie wieder los, um den Pfad entlangzurennen. So war Katrina: voller Energie. Sie blieb erst ein ganzes Stück weiter weg stehen, breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis. Sie sah aus wie eine Märchenfee, als sie sich so drehte und ihr Haar silbern im Mondlicht schimmerte. Kaum hatte ich sie eingeholt, packte sie mich an meinen Gürtelschlaufen und zog mich an sich. Sie strahlte wie ein kleines Kind. »Für mich ist die Nacht eine Art fremdes Land, findest du nicht auch?«
Ich verstand nicht recht, was sie damit meinte, aber es klang gut, und sie war so glücklich darüber, dass ich Ja, natürlich sagte. Katrina lächelte. Dann entdeckte sie etwas auf dem grasbewachsenen Hügel neben dem Pfad und bückte sich. Als sie sich wieder aufrichtete, sah ich, dass sie eine Pusteblume gepflückt hatte: einen Löwenzahn mit weichem, weißem Flaum. Sie drehte ihn in den Fingern hin und her und sagte: »Das ist eine ganz besondere Zeit: Zeit, die wir vorher nicht hatten. Geschenkte Zeit.«
»Geschenkte Zeit«, wiederholte ich. »Das klingt gut.«
Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, sagte sie: »Wünsch dir was!«, blies beide Backen auf und pustete.
Ich versuchte, mir schnell etwas zu wünschen, aber die Samen flogen davon, ehe ich den Wunsch richtig in meinem Kopf ausgesprochen hatte. Plötzlich hatte ich Angst, das könnte Unglück bringen und mein Wunsch würde nicht in Erfüllung gehen. Ich hatte mir gewünscht, dass mit Katrina und mir alles so bleibt, wie es ist. Dass wir immer glücklich sein würden. Natürlich wusste ich, dass ein bisschen Pusteblumenflaum nicht mein Leben bestimmen konnte. Aber als ich sah, wie die Samen davonflogen, bevor ich meinen Wunsch zu Ende gedacht hatte, machte mir das schon zu schaffen.
Katrina ließ den Stängel zu Boden fallen, legte eine Hand auf meine Wange, und ihr Gesicht nahm einen verführerischen Ausdruck an: Sie hatte die Augen halb geschlossen und den Mund zu einem leichten Lächeln verzogen, bei dem ihr linker Mundwinkel ein Stückchen höher war. Ich liebte es, wenn sie mich so ansah. Aber ich war verwirrt, weil wir uns doch im Freien befanden. Der Kanal war an dieser Stelle sehr schmal, und am anderen Ufer standen mehrere Häuser, deren Fenster zu uns hinausgingen.
Katrina fuhr mit dem Finger über meine Brust, hinunter bis zu meinem Bauch und verharrte am untersten Hemdknopf.»Ist das nicht aufregend?«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Alle sind weg, und wir haben die Welt ganz für uns allein.« Ich spürte ihren Atem an meinem Hals. Dann öffnete sie langsam die Knöpfe an meinem Hemd, wodurch ich natürlich allmählich die Fassung verlor. »Komm, wir lieben uns gleich hier!«, sagte sie und zog mich auf den grasbewachsenen Hang neben dem Pfad. »Jetzt sofort, solange wir allein hier sind.«
Aber die Häuser mit ihren Fenstern schienen uns förmlich anzustarren. »Wir sind doch nicht wirklich allein«, erwiderte ich. »Da drüben wohnen Leute.«
Sie sah zu den dunklen Häusern empor, und der verführerische Ausdruck
Weitere Kostenlose Bücher