Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
zusammenreißen, um nicht laut loszukichern. Sie biss sich fest auf die Unterlippe. Eine Pause entstand. »Nein«, sagte sie, als sie sich wieder unter Kontrolle hatte. »Du hast mich missverstanden. Ich habe dich nur nach Nebenwirkungen gefragt. Hast du welche festgestellt?«
Die Wut – wenn es denn Wut gewesen war – verschwand aus Marcus’ Gesicht. Er entspannte sich leicht und lehnte sich mit einem etwas verlegenen Gesichtsausdruck zurück. Cynthia beugte sich über den Tisch. »Wieso, was dachtest du denn, was ich meine?«
»Nichts«, sagte er rasch und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Ich dachte, du willst etwas … Negatives andeuten. In Bezug auf das Medikament. Aber um deine Frage zu beantworten: Nein. Es gab keinerlei Nebenwirkungen.« Er schenkte ihr ein minimales Lächeln. »Außer, du betrachtest ein normales Leben und beruflichen Erfolg als Nebenwirkung.«
Cynthia nahm ihr Glas und musterte ihn insgeheim. Was war nur eben mit ihm los gewesen? Normalerweise fiel es ihr leicht, die Menschen zu durchschauen, aber Marcus war wirklich schwer zu knacken. Egal. Die Hauptsache war, dass er gute Nachrichten für sie gehabt hatte. Denn wenn Marcus in über einem Jahr keinerlei Nebenwirkungen festgestellthatte, musste das Medikament ungefährlich sein. Und das bedeutete, dass auch für Damien keine Gefahr bestand. Die Halluzinationen des Probanden hatten vielleicht ganz andere Ursachen gehabt. Irgendeine Vorerkrankung oder so.
Marcus schenkte ihr noch ein mikroskopisches Lächeln und leerte sein Glas. »Und, hat dir das geholfen? Bist du jetzt ein bisschen beruhigt, was 24/7 betrifft?«
»Ja, das war enorm hilfreich«, sagte Cynthia und errötete leicht, weil sie sich schuldig fühlte. Sie war wirklich ein furchtbarer Mensch, brachte Marcus unter Vortäuschung falscher Tatsachen dazu, dass er sich ihr anvertraute. Aber zumindest waren ihre Motive lauter: Sie wollte den Mann beschützen, den sie liebte. Oder wenigstens herausfinden, ob der Mann, den sie liebte, Schutz brauchte .
Erst beim Verlassen des Pubs fiel ihr etwas auf: Marcus hatte lange vor der Einführung des Internet-Nachahmerpräparats Zugang zu Niton gehabt. Er konnte Stay Up den Prototyp gegeben haben. Auch zeitlich käme das hin – nach einem Jahr mussten seine Reserven zur Neige gegangen sein. Er musste Hilfe gehabt haben, Hilfe von jemandem, der das Mittel analysieren und kopieren konnte. Ganz offensichtlich hatte er sich nur einen Partner mit pharmazeutischem Wissen und der entsprechenden Laborausstattung suchen müssen, um dann das Produkt selbst zu vertreiben und das Geschäft mit einer Titelgeschichte anzukurbeln.
Es war schon dunkel, und es hatte begonnen zu regnen. »Ach, Marcus«, sagte sie wie nebenbei und zog den Reißverschluss ihres Mantels zu. »Du hast mir noch gar nicht erzählt, wie du von Stay Up und den Niton-Kopien erfahren hast. Hat dir jemand einen Tipp gegeben?«
Marcus’ Züge verhärteten sich. »Ich fürchte, diese Frage kann ich dir nicht beantworten«, sagte er tonlos. Er zückte einen Knirps und öffnete ihn mit einem Knopfdruck. »MeineQuellen müssen anonym bleiben, das verstehst du sicher.«
Cynthia schaute ihn forschend an. Aber er wich ihrem Blick aus, sah die regengepeitschte Straße hinunter.
»Natürlich«, sagte sie leise. »Ich verstehe vollkommen.«
PHASE ZWEI
Schlaf ist eine Absurdität, eine schlechte Angewohnheit.
Thomas Edison
13
Ich konnte kaum fassen, wie schön sie war. Egal, wie oft ich sie ansah, ich staunte jedes Mal darüber.
»Liebling!«, sagte Katrina, als sie ins Wartezimmer des Krankenhauses gerannt kam und mich umarmte. »Etwas ganz Wunderbares ist geschehen!«
Ich fand es ja schon das Wunderbarste überhaupt, Katrina in die Arme schließen zu können. Aber sie hatte einen so seltsamen Ausdruck in den Augen, dass ich sie natürlich fragte, was denn so wunderbar sei. Sie antwortete nicht, sondern kicherte nur und legte einen Zeigefinger auf die Lippen. Es war eine lange Zugfahrt zurück nach London, aber das war mir egal. Dass ich meine Frau wieder an meiner Seite hatte … Von mir aus hätten wir auch auf dem Mond sein können.
Als wir endlich nach Hause kamen, war es Zeit fürs Abendessen. Ich hatte am Vortag eine besondere Willkommens-Moussaka zubereitet, die im Kühlschrank wartete und nur noch in den Ofen geschoben werden musste. Vor Katrina hatte ich von diesem Gericht noch nicht mal gehört. Meine Mutter war alles andere als eine raffinierte Köchin
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