Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
Großbritannien verursacht haben, 12 Prozent davon mit tödlichem Ausgang«. Sie sah sich im Raum um. Fernsehteams bauten Kameras auf und machten Soundchecks. Sie entdeckte Reporter von Channel Four, ITV und der BBC. Erstaunlicherweise auch Zain Verjee von CNN International. Ein ziemlich großer Name für so eine kleine Veranstaltung. Vielleicht war auch sie eine 24/7-Anhängerin? Cynthia suchte unter ihren Augen nach der verräterischen Verfärbung. Aber die Moderatorin war bereits fürs Fernsehen geschminkt, sodass Cynthia nur spekulieren konnte.
»Hallo! Ist der Stuhl neben dir noch frei?«
Cynthia sah auf und freute sich, Debbie Harold vom Evening Star zu sehen. Sie hatten sich auf einer Weihnachtsfeier angefreundet, auf der sie beide zu viel Sekt getrunken und gemeinsam unter viel Gelächter eine inoffizielle Top-Ten-Liste der schärfsten Männer in der Zeitungsbranche angefertigt hatten.
Debbie setzte sich neben sie, als ein unscheinbarer Mann durch die Tür hinter dem Podium trat. Er stellte sich vor das Mikrofon und räusperte sich nervös.
»Dr. Livington, nehme ich an«, flüsterte Cynthia.
»Das wohl kaum«, sagte Debbie kopfschüttelnd. »Ich weiß nämlich aus zuverlässiger Quelle, dass Jim Livington – ich zitiere – ›echt heiß‹ ist.«
»Tatsächlich?«, fragte Cynthia, als der Mann auf dem Podium um Aufmerksamkeit bat. Er war klein und kahlköpfig und trug einen schlecht sitzenden Anzug. Dieser Mann war eindeutig nicht heiß. Nicht mal Zimmertemperatur.
»Herzlich willkommen«, sagte er, als die Reporter verstummten. »Ich bin Bernard Draper, einer der Chirurgen am Neurologischen Institut. Mr. Livington und ich haben Sie heute hergebeten, weil wir die Berichterstattung über das Anti-Schlaf-Mittel, das auch unter dem Namen 24/7 bekannt ist, für ziemlich einseitig halten. Viele unserer Kollegen haben Vorbehalte gegen die Abschaffung des Schlafs geäußert. Diese Pressekonferenz soll eine neue Sicht auf die Problematik bieten und für etwas mehr Ausgewogenheit sorgen. Wir hoffen, dass sich das in Ihren Beiträgen widerspiegeln wird. Keine langen Vorreden, meine Damen und Herren, hier ist Jim Livington!«
Die Tür hinter dem Podium öffnete sich, und Cynthia konnte mindestens zwei unterdrückte Seufzer – aus weiblichen Kehlen – im Publikum hören.
»Wow!«, raunte sie Debbie zu. »Du hast nicht zu viel versprochen.«
Jim Livington war groß, bestimmt über einsachtzig, und hatte schwarz glänzendes Haar. Seine blassgrauen Augen lagen in dunklen Höhlen, was sie noch durchdringender wirken ließ. Aber er war mehr als nur gut aussehend. Während der Neurochirurg den Blick über sein Publikum gleiten ließ, spürte Cynthia sein enormes Charisma, das ihm die Aufmerksamkeit sämtlicher Anwesender eintrug, noch bevor er ein einziges Wort gesagt hatte. Das Stühlerücken und Papierrascheln verstummte. Alle Augen waren auf den Mann am Rednerpult gerichtet.
Als er mit seinem Vortrag begann, war seine Stimme tief und wohlklingend. »Bhopal. Die Raumfähre Challenger. Die Exxon Valdez. Tschernobyl.« Eine dramatische Pause.»Wir alle kennen diese Namen nur zu gut. Sie sind zu Synonymen für Leid und Tod geworden. Aber sie haben noch etwas anderes gemeinsam, etwas, das Sie vielleicht nicht wissen.« Er hob einen Finger und ließ ihn dort, während die Spannung stieg. »Erschöpfung – Schlafmangel – wird zumindest teilweise für all diese Tragödien verantwortlich gemacht: Es waren übermüdete Arbeiter, die fatale Fehler begingen. Schlaf war auch die Ursache für viele furchtbare Unfälle in unserem eigenen Land. 1987 ist die Herald of Free Enterprise gesunken, weil ein Bordmitglied einschlief, statt die Bugklappen zu schließen. Hundertdreiundneunzig Menschen starben – die schlimmste Schiffskatastrophe zu Friedenszeiten in der britischen Geschichte. Dann war da noch das Zugunglück 1993 in Yorkshire: Ein Autofahrer schlief am Steuer ein, kam von der Autobahn ab und landete auf den Zuggleisen.« Sein Blick glitt durch den Raum, und Cynthia spürte einen leichten Schauer der Erregung, als er ihr Gesicht streifte. »Sechs Fahrgäste und vier Bahnangestellte kamen bei dem darauffolgenden Zusammenstoß zu Tode. Lauter sinnlos geopferte Menschenleben.«
Er betätigte einen unsichtbaren Schalter, und die Zahlen und Fakten aus der Pressemappe wurden hinter ihm an die Wand geworfen. »Aber diese dramatischen Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Übermüdung ist für mehr Verkehrstote
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