Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
Lebewesen träumen müssen. Ratten werden in der Regel zwei oder drei Jahre alt. Bringt man sie um den REM-Schlaf, überleben sie im Durchschnitt nur fünf Wochen. Sie sterben an Traummangel.«
Livington lächelte. »Ich fürchte, das Verteidigungsministerium ist im Interesse der öffentlichen Sicherheit manchmal gezwungen, bestimmte Dokumente vertraulich zu behandeln – sogar wenn ein Medizinreporter der Tribune sie einsehen will.« Ein paar unterdrückte Lacher. »Und was die Träume anbelangt: Ich glaube nicht, dass wir uns wirklich mit anderen Spezies vergleichen können. Das wäre ja so, als wollte man Äpfel mit Birnen vergleichen. Schließlich erleben Tiere Träume ganz anders als der Mensch. Reptilien zum Beispiel träumen gar nicht. Was man nach Ihrer Logik als Beweis dafür anführen könnte, dass Träume durchaus verzichtbar sind – eine Meinung, die ich übrigens teile. Wie dem auch sei, das Anti-Schlaf-Mittel enthält einen Wirkstoff, der die mit Träumen verbundene Hirnaktivität unterdrückt, und bisher gab es keinerlei negative Nebenwirkungen.« Er lächelte ein überwältigendes Filmstarlächeln. »Das bestätigt mich in meiner Ansicht, dass Träume überflüssig sind.«
»Ja, aber …«
»Vielleicht möchte sonst noch jemand eine Frage stellen?«, mischte sich Bernard Draper ein und sah den Medizinreporter missbilligend an.
Cynthia hob die Hand, und Livington nickte ihr zu. »Sie sagen, wir müssten nicht träumen. Aber wenn das stimmt, warum tun wir Menschen es dann? Cynthia Wills vom Sentinel .«
»Das ist eine ausgezeichnete Frage, Cynthia Wills vom Sentinel .« Er lehnte sich an das Pult, als wäre er im Pub und plauderte mit Freunden. »Wie Sie vielleicht wissen, ist der Kortex jene Hirnregion, die für komplexere Gehirnfunktionen zuständig ist, fürs Denken und Analysieren. Er befindet sich über dem entwicklungsgeschichtlich viel älteren Teil des Gehirns, der mit Emotionen und Trieben in Verbindung gebracht wird, dem Stammhirn. An der Basis dieses unteren Teils des Gehirns liegt ein Areal namens Pons. Während der REM-Phase des Schlafs beginnt der Pons zufällige Signale und Erregungsmuster zu erzeugen. Viele Experten glauben, dass Träume die reflexartigen Versuche des Kortex darstellen, diese Signale zu deuten und zu strukturieren – und somit aus einer fragmentierten Hirnaktivität eine Geschichte zu formen. Mit anderen Worten: Träume werden vom Kortex verursacht, der dort nach Bedeutung sucht, wo es gar keine gibt. Im Grunde reine Zeitverschwendung, eine enorme geistige Anstrengung für nichts.«
Der Reporter der Tribune war erneut aufgesprungen. »Aber das ist bloß eine Theorie!«, brach es aus ihm hervor. »Was ist mit den Studien, die belegen, dass seelische Stabilität und kognitive Leistung schon nach wenigen Nächten ohne Träume nachlassen?«
Jim Livington verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Dr. Bowden fast schon amüsiert. Er ließ ein paar Sekunden verstreichen. Dr. Bowden wurde sichtlich nervös.
»Ich selbst habe vor fünf Monaten mit der Einnahme von 24/7 begonnen, gleich nachdem es verfügbar wurde«, sagte der Neurochirurg. Er richtete seine grauen Augen auf Cynthia, die prompt errötete. »Was sagen Sie, Cynthia vom Sentinel ? Wirke ich instabil auf Sie?«
Sie ertappte sich dabei, wie sie den Kopf schüttelte, und merkte, dass andere um sie herum dasselbe taten.
»Seit ich Shifter bin, habe ich doppelt so viele Operationenwie zuvor durchführen können«, fuhr er fort. »Würden andere Ärzte meinem Beispiel folgen, könnten wir unzählige Leben retten, und Wartelisten würden der Vergangenheit angehören. Aber Vorurteile verhindern das, Vorurteile denjenigen gegenüber, die beschlossen haben, eine sinnlose, ja manchmal sogar gefährliche biologische Funktion auszuschalten. Ich bitte Sie, unvoreingenommen zu sein und die Konsumenten von 24/7 als das zu sehen, was sie wirklich sind: Pioniere, die die Welt zu einem besseren und sichereren Ort für uns alle machen.«
Dr. Draper betrat erneut das Podium. »Damit wäre die Pressekonferenz beendet. Ich danke Ihnen.« Er hielt seinem Kollegen die Tür auf.
Livington winkte seinem Publikum hoheitsvoll zu, bevor er verschwand. Gemurmel wurde laut, während die Journalisten nach ihren Unterlagen griffen und ihre Kameraausrüstung einpackten.
»Und, was sagst du dazu?«, fragte Debbie. »Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber mich hat er fast dazu gebracht, das Zeug selbst
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