Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
verantwortlich als Alkohol und Drogen – von Arbeitsunfällen oder Bränden, die von eingeschlafenen Rauchern verursacht werden, ganz zu schweigen. Werden die Opfer dieser Tragödien dann vielleicht nachts ins Krankenhaus gebracht, sind ihre schlafbedingten Probleme noch längst nicht vorüber. Denn höchstwahrscheinlich wird sie ein junger Arzt untersuchen, dessen Urteilsvermögen durch Übermüdung erheblich beeinträchtigt ist. Studien aus den USA belegen, dass Assistenzärzte während der Nachtschicht Krankenakten doppelt so oft falsch interpretieren wie währendder Tagschicht und somit ihre Patienten gefährden.« Er musterte sein Publikum ernst. »Für diese potenziell tödlichen Fehler ist ausschließlich Schlafmangel verantwortlich. Schaffen wir das Schlafbedürfnis ab, können wir größere Katastrophen vermeiden, die Zahl der Verkehrsunfälle senken und die Qualität unseres Gesundheitssystems verbessern.«
Seine Redepause war eine Millisekunde zu lang, sodass sich Debbie vor lauter Begeisterung nicht mehr bremsen konnte. Ihre Hand flog in die Höhe. Der Arzt lächelte wohlwollend und nickte ihrem ausgestreckten Arm zu.
»Sie als Arzt sind also der Auffassung, dass wir tatsächlich nicht unbedingt Schlaf brauchen? Debbie Harold, vom Evening Star .«
Jim Livington räusperte sich. »Es gibt unzählige Hypothesen über die eigentliche Funktion des Schlafs. Eine der plausibelsten ist die sogenannte adaptive Hypothese der Erhaltung. Vor Jahrmillionen hat der Mensch in einer Welt voller Raubtiere gelebt. Es war gefährlich für ihn, wach zu bleiben und im Dunkeln umherzustolpern, während seine Fressfeinde Beute suchten. Unsere Vorfahren brauchten keine vierundzwanzig Stunden, um ihr Nahrungsbedürfnis sowie andere biologische Bedürfnisse zu stillen. Schlaf war also nur eine Methode des Organismus, dafür zu sorgen, dass sie sich in der dafür nicht benötigten Zeitspanne im Schutz einer Höhle aufhielten und damit in Sicherheit waren. Das hatte außerdem den Vorteil, dass über die Nahrung mühsam zugeführte Energie gespart wurde. Mit anderen Worten, der Schlaf diente einst der Anpassung an die Umwelt. Und als die äußere Bedrohung wegfiel, blieb der Schlaf bestehen: ein Überbleibsel der Evolution ohne jeden Sinn und Zweck.«
Er schien noch etwas sagen zu wollen, als ihn eine Männerstimme hinter Cynthia unterbrach. »Haben Sie denngar keine Bedenken, ein Medikament zu empfehlen, das im Grunde noch in der Experimentierphase ist?«
Sie drehte sich um und sah einen Reporter mit Hängebacken und wässrigen Augen, der aufgestanden war. »Sie müssen die bisherigen Tests mit diesem Medikament doch auch für völlig unzureichend halten. Eine Studienreihe mit Narkoleptikern und nur eine einzige Testreihe mit Gesunden? Sie werden zugeben, dass es äußerst ungewöhnlich ist, dieses Medikament in Umlauf zu bringen, obwohl es noch so wenig erforscht ist. Doktor Martin Bowden, Ressort Medizin der Tribune .«
»Vielen Dank, Herr Doktor«, hob Jim Livington an. »Diesen Punkt wollte ich ohnehin ansprechen. Es war in Bezug auf Niton viel von angeblich ungenügenden Tests die Rede. Allerdings hat gerade Phase drei begonnen, eine Testreihe mit einer Gruppe britischer Soldaten, die gerade einen Einsatz in feindlichem Gebiet haben. Als Niton kurz davor stand, für die Behandlung von Narkolepsie zugelassen zu werden, beschloss das Ministerium, sicherheitshalber auch die früheren Testphasen zu wiederholen, um es für die neue Indikation zu prüfen. Angefangen bei den unzähligen Tests an Ratten und Primaten bis hin zu denen an narkoleptischen und gesunden menschlichen Versuchspersonen waren sämtliche Studien ein uneingeschränkter Erfolg. Ich würde sagen, dass Niton – oder 24/7 – alles andere als ungetestet ist, sondern eines der am intensivsten klinisch getesteten Medikamente überhaupt. Alles spricht dafür, dass es die aufregende Möglichkeit gibt, den Schlaf gefahrlos auszuschalten und seine positiven Auswirkungen auf den Organismus chemisch zu reproduzieren.«
Cynthia drehte sich zu Dr. Bowden um, neugierig, wie er darauf reagieren würde.
Er wirkte unbeeindruckt. »Sie sagen, die Tests des Verteidigungsministeriums seien erfolgreich gewesen … Aber wosind die Belege dafür? Ich habe beantragt, die Studienergebnisse einsehen zu dürfen, bin aber nur auf verschlossene Türen gestoßen. Und vom Schlaf an sich mal abgesehen – was ist mit den Träumen? Frühere Versuche mit Tieren haben ergeben, dass
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