Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
Foto aussah: so sorglos und strahlend. Sie konnte ja nicht ahnen, wie sie ihr Leben beenden würde: hilflos um sich schlagend, während ihr ein Mann die Kehle zudrückte. Immer fester zudrückte, bis …
Ein Bellen ertönte, und sie zuckte zusammen. Der Schäferhund rannte vorbei. Sein Herrchen schlenderte hinter ihm her, die Leine locker um die Hand gewickelt. Er nickte Cynthia im Vorübergehen grüßend zu. Hier gab es nichts mehr zu recherchieren. Sie ging durch den Park zurück zur Straße. Die Bäume schwankten im Wind.
Auf dem Weg ins Büro ging Cynthia auf dem Camden Market vorbei, um sich den Ort noch einmal anzusehen, an dem vor über einem Jahr die erste Leiche gefunden worden war. Marktstände drängten sich im Hof eines U-förmigen Backsteingebäudes und säumten das Kanalufer. Eine Fußgängerbrücke führte über den schmalen Wasserstreifen zu einem Starbucks und einem Pub. Die Leiche war in einem Doughnut-Stand gefunden worden. Cynthia sah ihn sofort: Hinter der Theke schob eine rundliche Frau gezuckerte Kringel in eine Papiertüte, während vor ihr die Kunden Schlange standen. Cynthia musterte die Szene nachdenklich. Schon damals, lange bevor irgendjemand von 24/7 gehört hatte, war in diesem Teil der Stadt nachts viel los gewesen. Der Hof selbst mochte verlassen gewesen sein, aber in den umliegenden Straßen waren garantiert Nachtschwärmer, Drogendealer und Bettler unterwegs gewesen. Nicht gerade ein idealer Ort, um einen Mord zu begehen und dem Opfer anschließend noch die Haare zu flechten. Wie also …
»Hey, Baby«, sagte eine melodiöse Stimme. Cynthiadrehte sich um und entdeckte eine vertraute Gestalt in Jeans und mit Dreadlocks. »Hasch? Speed? Koks?«
Lachend schüttelte sie den Kopf. »Das fragst du mich jeden Tag«, erwiderte sie. »Mal ganz im Ernst: Sehe ich so aus, als würde ich Drogen nehmen?«
Er dachte kurz nach und lächelte hintergründig. »Der Schein trügt manchmal«, sagte er leise.
26
Cynthia schlängelte sich zwischen den Doppeldeckerbussen auf der Oxford Street hindurch, um zu Selfridges auf der anderen Seite zu gelangen. Die steinernen Säulen an der Art-déco-Fassade des Kaufhauses erinnerten an einen ägyptischen Tempel. Sie drückte die Glastür auf und blieb kurz stehen, um sich zu orientieren. Kosmetikverkaufstresen breiteten sich vor ihr aus wie die Stände eines riesigen Basars aus glänzendem Marmor. Sie lief an ihnen vorbei zur Rolltreppe, die sie in die Abteilung Bad und Inneneinrichtung bringen würde.
Heute war ein guter Tag. Sie hatte endlich wirklich akzeptiert, dass Damien nicht mehr zurückkommen würde. Und deshalb musste sie jetzt die traurigen Lücken schließen, die durch seinen Auszug entstanden waren. Wenn sie nach vorn schauen wollte, musste sie sich auch allein in ihrer Wohnung wohlfühlen. Deshalb hatte sie sich eine Woche freigenommen, um sie schön einzurichten. Sie hatte schon einen Sessel und einen Couchtisch gekauft, eine Schreibtischlampe und ein paar kleine Kelim-Brücken. Jetzt suchte sie nach einem neuen Duschvorhang und dazu passenden Handtüchern. Sie hatte die Rolltreppe beinahe erreicht, als sie eine Menschenmenge vor Hot Hues sah, einem der trendigeren Kosmetikstände. Neugierig bahnte sie sich einen Weg zum Anfang der Schlange.
Dort stand sie vor einer Pyramide aus flachen Döschen. Ihre transparenten Deckel ließen Kreise aus verschiedenfarbigem Puder erkennen. Cynthia fragte sich, warum eineneue Lidschatten-Linie so viel Aufmerksamkeit erregte, zumal die Auswahl nicht sehr groß war. Es gab höchstens ein Dutzend Farbtöne: ein blasses Mauve, verschiedene Lila- und Blautöne, Braun und Schwarz.
Dann sah sie das Schild vor dem Stand und fühlte sich, als hätte man ihr einen Schlag versetzt. »Shifter-Schimmer«, stand da, wobei die Punkte auf beiden »i«s durch ein lila untermaltes Comic-Auge ersetzt worden waren. »Die Produktneuheit der Saison!« Tester-Döschen säumten die Theke, Hände griffen nach Applikatoren und probierten aus. Neben Cynthia hielt ein vielleicht sechzehnjähriges Mädchen eines der Döschen vor ein Zeitschriftencover. Darauf prangte ein Model mit Schmollmund und lilablauen Halbmonden unter den Augen. Das Mädchen sah zwischen dem Foto und den Döschen hin und her und war offensichtlich auf der Suche nach dem richtigen Farbton.
Ein Stück weiter hinten versuchte eine Frau in Cynthias Alter, die Hot-Hues-Verkäuferin auf sich aufmerksam zu machen. »Entschuldigung!«, sagte sie mit lauter Stimme
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