Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
echte Geschichte liefern. Auf der M25 gab es gerade einen großen Verkehrsunfall. Die Informationen sind lückenhaft, und es kann nicht schaden, mal hinzufahren und nachzusehen.«
»Ein Verkehrsunfall«, wiederholte Cynthia matt. »Du willst mich tatsächlich zu einem Verkehrsunfall schicken?«
»Ja, das will ich. Es soll ein Bus beteiligt sein. Und wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest: Ich muss mich auf die Morgenkonferenz vorbereiten.«
Cynthia fuhr langsamer, als sie vor sich die Autokolonne sah, deren Bremslichter sich rot vom grauen Asphalt abhoben. Sie machte den Motor aus und den Warnblinker an. Gut. Sie würde sich also diesen Unfall mit Blechschaden ansehen und etwas für Rocky zusammenschreiben, das dann im hinteren Teil der Zeitung ignoriert würde. Damit bekam Marcus noch mehr Platz. Tränen der Wut stiegen ihr in die Augen, und sie blinzelte sie verärgert weg.
Sie knöpfte ihren Mantel zu und stieg aus dem Mini. Kälte schlug ihr ins Gesicht. Sie sah sich um. Weiter vorn konnte sie Leitkegel erkennen, dahinter Scherben und verbogenes Metall. Dann machte die Straße einen Bogen um ein altes Lagerhaus und verschwand aus ihrem Blickfeld.
Während sie auf die Leitkegel zuging, rasten mit Sirenengeheul und Blaulicht mehrere Feuerwehrwagen auf dem Standstreifen vorbei. Ein Krankenwagen folgte, und dann noch einer. Nachdem der vierte Krankenwagen vorbeigedonnertwar, bekam Cynthia allmählich das Gefühl, dass es hier vielleicht doch eine echte Story zu holen gab. Sie beschleunigte ihre Schritte. Die Bäume vor ihr sahen durch die vor Hitze flimmernde Luft verzerrt aus, so als betrachtete man sie durch eine dicke, blinde Glasscheibe. Eine heiße Luftwelle erfasste sie, die einen unangenehmen Chemiegeruch mit sich brachte. Hinter dem Lagerhaus stieg eine dunkle Rauchwolke auf. Sie erreichte die Polizeischranke. Ein junger Beamter verringerte den Abstand zwischen den Leitkegeln und ergänzte sie um neue, zum Zeichen, dass es hier nicht so bald weitergehen würde. Dann sah Cynthia, was sich dahinter befand, und erstarrte.
»Tut mir leid, Miss, aber ich muss Sie bitten, hinter dieser Linie zu bleiben«, sagte der Beamte. »Wir machen eine Spur auf, sobald wir die Situation unter Kontrolle haben. Miss? Haben Sie mich verstanden?«
Cynthia reagierte nicht. Sie stand da wie angewurzelt und starrte fassungslos auf die Szene, die sich ihr darbot. Ein riesiger Laster stand quer auf der Fahrbahn. Die Fahrerkabine befand sich in einem Neunzig-Grad-Winkel zum Anhänger. Es sah seltsam aus, wie die unnatürliche Stellung eines gebrochenen Arms oder Beins. Der Laster musste Holz transportiert haben, denn überall auf dem Asphalt lagen Bretter herum. Manche brannten.
Aber nicht das lähmte sie und schnürte ihr die Kehle zu. Es war der brennende Bus dahinter. Aus seinen Fenstern loderten Flammen. Darunter befand sich der handgemalte Schriftzug »Talbot-Grundschulchor«. Während sie hinsah, wurde der letzte Teil des Wortes schwarz und wellte sich. Feuerwehrmänner schlugen mit Äxten auf die Scheiben ein und versuchten, die eingeschlossenen kleinen Passagiere zu befreien. Sie stellte sich die herausgerissenen Sitze und die sengende Luft vor. Den Rauch und die Schreie. Kleine Hände, die gegen heißes Glas hämmerten.
Eine Hand berührte sie am Arm und ließ sie zusammenzucken. »Miss«, sagte der Polizist. »Ich muss Sie bitten, sofort zu Ihrem Wagen zurückzukehren.«
Cynthia schloss die Augen und holte tief Luft. Es roch giftig. Dann ging sie zu ihrem Wagen zurück und stieg ein. Lange Zeit saß sie einfach nur da und sah durch die Windschutzscheibe auf die Rauchsäule. Dann legte sie den Kopf aufs Lenkrad und weinte.
25
Ich hatte über eine Stunde nach Katrina gesucht, als ich sie endlich unter einer Brücke am ruhigeren Kanalabschnitt kurz vor Camden Market entdeckte. Es war schon dunkel, aber im Schein der Straßenlaterne sah ich gleich, dass sie es war. Ich stellte den Motor ab und ließ das Boot treiben. Beobachtete sie. Was hatte sie hier zu suchen? Warum versteckte sie sich bei dieser Kälte unter einer Brücke?
Dann sah ich ihn . Er trat aus dem Schatten und blieb vor Katrina stehen. Dann packte er meine Frau und drückte sie gegen die Wand unter der Brücke. Und sie verschmolzen miteinander, sodass ich sie nicht mehr auseinanderhalten konnte.
Es war, als ob jemand mir das Herz zerriss. Katrina küsste einen anderen. Ich stellte mir vor, wie sie dem Mistkerl etwas ins Ohr flüsterte und Dinge
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