Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
dunkle Augenringe auf: von blassen Malventönen bis hin zu einem so dunklen Blau, dass es fast schwarz aussah. Gut möglich, dass einige auch Schläfer waren und ihre Augenringe ganz normale Erschöpfungssymptome, weil sie verzweifelt versuchten, mit den Shiftern Schritt zu halten.
Sie musste an Damien denken. Bestimmt waren die Halbmonde unter seinen Augen mittlerweile schwarz. Kopfschüttelnd verscheuchte sie diesen Gedanken. Es brachtenichts, zurückzuschauen. Besser, sie konzentrierte sich auf die Zukunft.
Jemand hatte einen Media Guardian , das Fachblatt für Journalisten, auf dem Nebensitz liegen lassen. Cynthia griff danach und blätterte zu den Stellenanzeigen. Es wurde Zeit, dass sie über eine berufliche Veränderung nachdachte. Ihr Stern beim Sentinel war in den letzten Monaten immer weiter gesunken. Rocky interessierte sich nicht für ihre Themenvorschläge und gab ihr nur noch Geschichten, die allenfalls für die hinteren Seiten taugten. Während Marcus so richtig durchstartete. Sein Name war fast täglich auf der Titelseite zu finden, und seine »Paradigmen-Shift«-Kolumne war für einen nationalen Journalistenpreis nominiert worden.
Cynthia überflog die Stellenanzeigen. Diese Woche gab es ziemlich viele Angebote. Der Telegraph brauchte einen Berlinkorrespondenten. Die Financial Times suchte einen Wirtschaftskolumnisten. Als sie sah, dass der Guardian eine Stelle als Nachrichtenreporter ausgeschrieben hatte, hellte sich ihre Miene auf. Auf diese Stelle würde sie sich auf jeden Fall bewerben. Oder sollte sie die Gelegenheit nutzen, etwas Neues auszuprobieren? Fernseh- und Zeitschriftenjournalismus? Während Cynthia die Anzeigen überflog, ging es ihr zunehmend besser. Irgendjemand würde eine preisgekrönte Reporterin wie sie bestimmt zu schätzen wissen, die einen Ruf als … Da sah sie etwas, das sie erstarren ließ. Channel Six: Fernsehjournalist/in gesucht, der/die bereits Vierundzwanzigstunden-Nachrichten gemacht hat. Mindestens zwei Jahre Reportererfahrung werden vorausgesetzt sowie die Bereitschaft zu langen Arbeitszeiten und wechselnden Schichten. Aber es war die allerletzte Zeile, die sie hatte zusammenzucken lassen. Da stand es, direkt über der fett gedruckten Kontaktadresse: Keine Schläfer.
»Na und?«, sagte Rocky und warf einen Blick auf die Stellenanzeige in Cynthias Hand. »Tut mir leid, aber ich kann dir nicht ganz folgen. Was ist daran so interessant?«
Cynthia war mit der Stellenanzeige schnurstracks zum Schreibtisch des Nachrichtenchefs marschiert und hatte sich schon auf die Schlacht gefreut, die sie sich mit den Leuten von Channel Six liefern würden. Aber Rocky sah sie an, als sei sie nicht ganz zurechnungsfähig.
»Na ja, zunächst einmal ist es diskriminierend«, sagte sie. »Und dann noch eine ganz neue Form von Diskriminierung: Menschen werden Berufschancen verwehrt, nur weil sie keine Medikamente einnehmen. Ich finde das durchaus interessant.«
Er warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Die Haut unter seinen Augen war marineblau. Zwei Monate, schätzte sie automatisch. So lange dauerte es, bis Marineblau erreicht war.
»Das ist nicht dein Ernst, Cynthia, oder? Die machen doch nichts anderes als Firmen, die nur Nichtraucher einstellen: Sie wollen keine Raucher, weil die zu viele Pausen machen und ständig krank werden. Das ist völlig nachvollziehbar. Genau wie das hier: Warum sollten Firmen gezwungen sein, Kandidaten einzustellen, die nicht so flexibel und weniger produktiv sind?«
»Aber …« Cynthia fiel es schwer, die tiefe Beunruhigung, die sein Einwand bei ihr auslöste, in Worte zu fassen. Sie versuchte es anders. »Na gut. Ich verstehe deine Haltung. Aber in den letzten Monaten haben wir jede Menge … Pro-Shifter-Artikel gebracht. Wenn ich jetzt mal darüber schreibe, unter welchem Druck Schläfer stehen, wäre das ein fairer Ausgleich.« Der Nachrichtenchef starrte sie nur ausdruckslos an. »Der Objektivität zuliebe«, fasste sie ihre Position zusammen.
Rocky schüttelte den Kopf. »Das sehe ich anders. Warumsollten wir über Schläfer schreiben? Die machen nichts Neues oder Interessantes. Die tun nur … was sie schon immer getan haben. Shifter sind die Story: Sie sind diejenigen, die neue Wege beschreiten und die Welt verändern. Deshalb schreiben wir über sie. Shifter sind die Zukunft, und Schläfer sind von gestern. Wir schreiben nicht über gestern. Anstatt aus einem Nichts eine Nachricht machen zu wollen, solltest du lieber rausgehen und eine
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