Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
»Aber … Du hattest mir doch gemailt, dass ich diesen Graffiti-Künstler interviewen soll …«
Er winkte ab. »Das kann einer von den Volontären erledigen. Marcus ist gerade unterwegs, um über das Shifter Business Leaders Forum zu berichten, und ich will, dass sich jemand mit Erfahrung um die Schulbusgeschichte kümmert. Der Fall wird ziemlich Furore machen, ich rechne mit heftigen Reaktionen.« Zum ersten Mal seit Monaten schenkte Rocky ihr ein freundliches Lächeln. »Also los, beweg dich, Wills! Ich verlasse mich ganz auf dich.«
Cynthias Gedanken überschlugen sich regelrecht, als sie mit der Pressemitteilung in der Hand zu ihrem Schreibtisch ging. Ihr Verdacht hatte sich bestätigt: Ein Strich mit einem Make-up-Bürstchen hatte genügt, um ihren Platz in der Redaktionshierarchie zu verbessern.
Cynthia legte die Pressemitteilung auf ihre Tastatur und ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Ihren Kaffeedurst ignorierte sie. Besser, sie machte sich sofort an die Arbeit. Sie musste beruflich in Topform sein, wenn sie sich irgendwann als Schläferin outete. Außerdem war sie neugierig, was an dem Fall so spektakulär sein sollte. In ihrem ersten Artikel hatte Cynthia es vermieden, über die Unfallursache zu spekulieren. Aber angesichts der Tatsache, dass der Laster auf die Gegenfahrbahn geraten war, hatte sie automatisch auf Alkohol am Steuer getippt. Wenn sich das bestätigte, würde es mit Sicherheit einen Aufschrei geben.
Sie las die erste Zeile der Pressemitteilung, und ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen.
Mann wegen unverantwortlichen Fahrens der fahrlässigen Tötung angeklagt: Lkw-Fahrer John Edmonds, 37, ist vermutlich am Steuer eingeschlafen. Daraufhin geriet sein Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn und stieß mit einem Schulbus zusammen, der anschließend in Flammen aufging. ZweiErwachsene und zwölf Kinder sind bei dem Unfall ums Leben gekommen. John Edmonds liegt im Krankenhaus, sein Zustand ist stabil.
Sie las die Pressemitteilung erneut durch und biss sich auf einen Fingerknöchel. Das war nicht gut. Die Shifter-Lobby würde behaupten, Schlaf habe ein Dutzend unschuldiger Kinder das Leben gekostet. Sie würden Blut sehen wollen.
Gegen elf hatte sie einen Lehrer, zwei trauernde Eltern und den Geschäftsführer der Spedition interviewt. Sie gab ihren Artikel wenige Minuten vor Redaktionsschluss ab.
»Gute Arbeit, Wills«, sagte Rocky, nachdem sie wegen eines neuen Auftrags zu ihm gegangen war. » Shifters for a Twenty-Four Hour World organisieren eine Pressekonferenz. Sie fordern anscheinend, dass Schläfer keine Lastwagen mehr über längere Strecken steuern dürfen. Der Bürgermeister und Jim Livington werden auch da sein, es gibt sicherlich eine lebhafte Diskussion. Sie beginnt erst um vier, aber du kannst hingehen, wenn dir die Überstunden nichts ausmachen.«
Cynthia war beflügelt. Sie stand bei ihrem Chef wieder hoch im Kurs und hatte es erneut auf die Titelseite geschafft. Ha, Marcus, zieh dich lieber warm an! Sie sah auf ihre Uhr. Es war kurz nach zwölf. »Also habe ich noch dreieinhalb Stunden Zeit, um die nächste Ausgabe zu aktualisieren. Ich werde im Bürgermeisterbüro anrufen, vielleicht erfahre ich, was er vorhat.«
Rockys Telefon klingelte. Er bat den Anrufer, einen Moment zu warten, legte die Hand vor die Sprechmuschel und wandte sich wieder an Cynthia. »Gute Idee. Aber das hat keine Eile. Als ich vier Uhr gesagt habe, meinte ich vier Uhr früh. Entschuldige, ich hätte mich klarer ausdrücken müssen.«
Ihr Lächeln erstarb. »Die geben um vier Uhr morgens eine Pressekonferenz?«
»Ja, wieso? Ist das ein Problem?« Stirnrunzelnd warf Rocky einen erneuten Blick auf die Ringe unter ihren Augen.
»Nein, natürlich nicht«, sagte sie rasch und zwang sich wieder zu einem Lächeln. »Das ist überhaupt kein Problem.«
»Hasch?«, fragte der Typ mit den Dreadlocks auf der Brücke. »Koks, Ecstasy, Speed?«
Cynthia lächelte geistesabwesend, ohne ihn anzusehen, während ihr netter Dealer von nebenan sein bewusstseinserweiterndes Angebot herunterleierte. Sie war nach einer Abendessenspause auf dem Weg ins Büro und wusste immer noch nicht, wie sie das mit der Pressekonferenz hinbekommen sollte. Sie musste ihren Artikel für die letzte Ausgabe aktualisieren, sodass sie nicht vorher nach Hause gehen und ein paar Stunden schlafen konnte. Die Pressekonferenz würde sicher bis sechs dauern. Wenn sie dann zwei Stunden für ihren Bericht veranschlagte, blieb ihr gerade mal eine
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