Du sollst nicht sterben
des Polizeireviers herrschte Feierstimmung. Roy Grace hatte das Überwachungsteam abgezogen, wer wollte, konnte nach Hause gehen. Er selbst war jedoch nicht in Hochstimmung, und es würde auch noch eine Weile dauern, bevor er Schluss machen konnte.
Dieser John Kerridge alias Jak hatte ihm schon lange Kopfzerbrechen bereitet. Sie hatten ihn zu bereitwillig entlassen, ohne gründliches Verhör und weitere Ermittlungen – er konnte nur dem Himmel danken, dass der Freak gefasst worden war, bevor ein weiteres Opfer zu Schaden kam. Dann hätten sie noch blöder dagestanden.
Doch auch so würde es unangenehme Fragen geben, auf die er verdammt gute Antworten finden musste.
Er verfluchte sich selbst, weil er Norman Potting die Erstbefragung hatte durchführen lassen und dessen Entscheidung, Kerridge freizulassen, ohne weiteres zugestimmt hatte. Von jetzt an würde er die Planung der Verhörstrategie wie auch alle weiteren Befragungen selbst überwachen.
Er verließ die Polizeiwache und fuhr zum Untersuchungsgefängnis, in das man Kerridge bereits gebracht hatte. Er rechnete jeden Augenblick mit einem Anruf von Kevin Spinella.
Um kurz nach sieben parkte er vor Sussex House und rief Cleo an, um ihr zu sagen, dass er möglicherweise früher als erwartet nach Hause kommen würde, auf jeden Fall vor Mitternacht. Beim Aussteigen klingelte sein Handy. Doch es war nicht der Reporter.
Stattdessen meldete sich Inspector Rob Leet, der diensthabende Inspektor für schwerwiegende Zwischenfälle in der Stadt. Leet war ein ruhiger, ausgesprochen fähiger Mann. »Sir, ich habe soeben eine Meldung aus dem östlichen Sektor erhalten, von der Sie wissen sollten. Eine Einheit wurde zu einem brennenden Lieferwagen gerufen, der auf einem entlegenen Acker nördlich von Patcham gefunden wurde.«
Grace runzelte die Stirn. »Welche Informationen haben Sie dazu?«
»Er scheint schon eine Weile in Flammen zu stehen, ist ziemlich ausgebrannt. Die Feuerwehr ist unterwegs. Ich rufe Sie an, weil es sich um einen Ford Transit handelt, neues Modell. Das könnte vielleicht interessant für Sie sein. Sie haben doch eine Suchmeldung nach einem derartigen Fahrzeug herausgegeben.«
Grace wurde ein bisschen unwohl. »Gibt es Opfer?«
»Der Wagen scheint leer zu sein.«
»Und es wurde niemand gesichtet, der von dort weglief?«
»Nein.«
»Kennzeichen?«
»Wie ich hörte, sind die Kennzeichen vollkommen verbrannt, Sir.«
»Vielen Dank. Wir haben unseren Mann verhaftet, vielleicht hat es gar nichts zu bedeuten. Aber halten Sie mich bitte auf dem Laufenden.«
»Das mache ich, Sir.«
Grace betrat Sussex House und nickte dem Nachtwächter zu. »Hi, Duncan. Wie läuft’s?«
Der große, sportliche Mann lächelte stolz. »Bin letzte Woche den Halbmarathon gelaufen und Fünfzehnter von siebenhundert geworden.«
»Ist ja super!«
»Dieses Jahr trainiere ich für den London Marathon. Ich hoffe, ich kann Sie als Sponsor gewinnen – der Erlös geht ans St. Wilfred Hospiz.«
»Selbstverständlich!«
Grace verließ das Gebäude durch die Hintertür, überquerte den Hof, ging vorbei an Mülltonnen und den Fahrzeugen der Spurensicherung und hinauf zum Untersuchungsgefängnis. Gerade als er die Schlüsselkarte vor das Sicherheitsdisplay hielt, klingelte sein Handy erneut.
Es war wieder Inspector Rob Leet. »Roy, ich dachte, ich rufe Sie am besten sofort an. Ich weiß, dass Sie diesen Schuh-Dieb in Untersuchungshaft haben, aber wir haben gerade eine Einheit zum Sudeley Place in Kemp Town geschickt. Stufe eins.«
Stufe eins war die höchste Dringlichkeitskategorie bei Notrufen, die unmittelbares Handeln erforderte. Grace kannte die Gegend. Sudeley Place lag ganz in der Nähe der Eastern Road. Leets Ton gefiel ihm nicht. Seine nächsten Worte noch viel weniger.
»Anscheinend hat eine Anwohnerin aus dem Fenster gesehen und bemerkt, wie eine Frau mit einem Mann um einen Kühlschrank kämpfte.«
»Einen Kühlschrank?«
»Er befand sich in einer Art Lieferwagen – besser gesagt, einem Campingbus – sie kennt sich mit Autos nicht aus und konnte uns auch nicht das Fabrikat nennen. Sie meint, er habe die Frau niedergeschlagen und sei dann mit hoher Geschwindigkeit davongefahren.«
»Mit der Frau im Wagen?«
»Ja.«
»Wann war das?«
»Vor etwa fünfunddreißig Minuten – um kurz nach halb sieben.«
»Er könnte inzwischen überall sein. Hat sie sich das Kennzeichen gemerkt?«
»Nein, aber ich behandle den Fall als mögliche Entführung und habe den Gehweg
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