Du sollst nicht sterben
Garage offen gelassen. Er hob das Tor, schloss es hinter sich und leuchtete drinnen herum. Dann zählte er seine Schritte bis zur hinteren Wand.
Diesmal kam er nur auf sechs Meter.
Sein Puls ging schneller. Zweieinhalb Meter Differenz.
Er klopfte mit den Knöcheln an die Wand. Sie klang hohl. Eine Attrappe. Er beleuchtete das deckenhohe Regal an der hinteren Wand. Die Lackierung war unregelmäßig, wie selbst gestrichen. Er betrachtete die Rollen mit grauem Klebeband. Das Zeug war bei Kidnappern sehr beliebt. Dann entdeckte er im Strahl der Taschenlampe etwas, das ihm bei seinem früheren Besuch nicht aufgefallen war. Das Regal hatte eine hölzerne Rückwand.
Grace verstand nichts vom Heimwerken, fragte sich aber dennoch, weshalb dieser dilettantische Handwerker eine Rückwand eingebaut hatte. Regale besaßen so etwas doch wohl nur dann, wenn man eine hässliche Mauer dahinter verbergen wollte. Warum aber sollte sich jemand in einer alten Garage diese Mühe machen?
Er klemmte sich die Taschenlampe zwischen die Zähne, griff nach einem Regalbrett und zog fest daran. Nichts passierte. Er zog fester, immer noch nichts. Dann griff er nach dem nächsthöheren Brett, das deutlich lockerer saß. Er rüttelte daran und konnte es herausnehmen. Dahinter war ein Türriegel zu sehen. Er lehnte das Regalbrett an die Wand und öffnete den Riegel. Er versuchte, am Regal zu ziehen, dann drückte er dagegen, doch es rührte sich nicht.
Er überprüfte sämtliche verbliebenen Bretter, das unterste ließ sich ebenfalls herausnehmen. Dahinter befand sich ein zweiter Riegel. Er öffnete ihn, stand auf und drückte gegen das Regal. Nichts.
Dann zog er und kippte fast um, als das gesamte Ding nach vorn schwang.
Eine Tür.
Er griff nach der Taschenlampe und leuchtete in den Raum. Sein Herz setzte aus.
Er war wie gelähmt.
Eisige Finger zuckten über seine Wirbelsäule.
Auf dem Boden stand eine Teekiste. Fast jeder Zentimeter der Wände war mit alten, vergilbten Zeitungsausschnitten bedeckt. Die meisten stammten aus dem Argus, einige aber auch aus großen Tageszeitungen. Er las eine Schlagzeile. Sie stammte vom 14. Dezember 1997.
POLIZEI BESTÄTIGT JÜNGSTES OPFER DES SCHUH-DIEBS.
Wo immer er auch hinleuchtete, sprangen ihn weitere Schlagzeilen an. Artikel, manche mit den Fotos der Opfer. Fotos von Jack Skerritt, der damals die Ermittlungen geleitet hatte.
Dann entdeckte er ein großes Foto von Rachael Ryan, das im Januar 1998 im Argus erschienen war. VERMISSTE RACHAEL SECHSTES OPFER DES SCHUH-DIEBS?
Grace starrte auf das Foto und die Schlagzeile. Er wusste noch, wann er die Seite zum ersten Mal gesehen und die entsetzliche Schlagzeile gelesen hatte. Sie hatte ihn von jedem Zeitungsstand in der Stadt angesprungen.
Er fühlte am Deckel der Teekiste. Sie war offen. Er schaute hinein und schrak zusammen.
Die Kiste war vollgestopft mit hochhackigen Damenschuhen, die alle einzeln in Zellophan gewickelt waren. Er wühlte darin herum. Manche Päckchen enthielten einen einzelnen Schuh und ein Höschen, andere ein Paar Schuhe. Alle sahen aus, als wären sie kaum getragen.
Er zitterte vor Aufregung. Musste wissen, wie viele es waren. Er zählte sie vorsichtig und legte sie nebeneinander auf den Boden, um keine Spuren zu zerstören. Zweiundzwanzig Päckchen.
Ein in Zellophan gewickeltes Bündel enthielt ein Damenkleid, Strumpfhose, Höschen und BH. War das die Verkleidung des Schuh-Diebs? Oder hatte er Nicola Taylor die Sachen im Metropole abgenommen?
Er kniete sich hin und betrachtete die Schuhe. Dann überprüfte er noch einmal die Zeitungsausschnitte, um sicherzugehen, dass er keinen wichtigen Hinweis übersehen hatte.
Dann fiel sein Blick auf ein DIN A4 Blatt, das irgendwie anders aussah. Kein Zeitungsausschnitt, sondern ein Vordruck, der teilweise mit Kugelschreiber ausgefüllt war. Darüber stand: Bund & Sons, Bestatter.
Er ging näher heran, damit er das Kleingedruckte lesen konnte. Unter dem Namen stand:
Registrierungsformular. Betr. D5678. Mrs Molly Winifred Glossop. Verstorben am 2. Januar 1998. Alter: 81.
Er las die detaillierte Liste. Gebühr für kirchlichen Gottesdienst. (Angekreuzt). Gebühr für den Arzt. (Angekreuzt). Gebühr für die Entfernung des Herzschrittmachers. (Leer). Gebühr für die Einäscherung. (Leer). Gebühr für den Totengräber. (Angekreuzt). Druckkosten für die Totenzettel. (Angekreuzt). Blumen. (Angekreuzt). Todesanzeige. (Angekreuzt). Sarg. (Angekreuzt). Urne. (Leer). Gebühr für den
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