Du sollst nicht sterben
geht? Sie muss doch den Aufruf im Argus gesehen oder im Radio etwas gehört haben.«
»Es ergibt einfach keinen Sinn. Normalerweise ruft sie ihre Eltern jeden Tag an. Und nun acht Tage Schweigen? Und das um diese Jahreszeit? Sie hat ihnen nicht mal frohe Weihnachten oder ein gutes neues Jahr gewünscht. Ihr ist etwas passiert, ganz sicher.«
Tingley nickte. »Von Außerirdischen entführt?«
Grace schaute wieder in seine Notizen. »Der Schuh-Dieb hat seinen Opfern immer an anderen Stellen aufgelauert, doch was er mit ihnen tat, blieb gleich. Wichtiger noch, die Konsequenzen für ihr Leben waren gleich. Er musste sie gar nicht töten. Sie waren innerlich tot, als er mit ihnen fertig war.«
Bist du ein Opfer des Schuh-Diebs geworden, Rachael? Oder hat dich ein anderes Ungeheuer erwischt?
37
Jetzt
Freitag, 9. Januar
Roy Grace empfand die sachliche und zielgerichtete Atmosphäre, die in der Soko-Zentrale 1 herrschte, stets als inspirierend.
Sie befand sich im Herzen von Sussex House und war viel mehr als ein Büro. Die Soko-Zentrale 1 bildete wie immer das Nervenzentrum seiner aktuellen Ermittlung.
Und wer hier arbeitete, war konzentriert, denn es war ein Rennen gegen die Zeit. Außer bei den Besprechungen hörte man kaum Geplauder und Frotzeleien, wie sie zwischen Polizisten sonst üblich waren.
Das einzig Frivole war eine Karikatur mit einem dicken blauen Fisch aus dem Film Findet Nemo, die Glenn Branson von innen an die Tür geklebt hatte. Bei der Kripo Sussex war es Tradition, für jede Ermittlung ein witziges Bild zu finden, um das Team ein wenig von dem Grauen abzulenken, mit dem es ständig konfrontiert wurde. Dies war der Beitrag eines eingefleischten Filmfans zur Operation ›Schwertfisch‹.
Im frühen Stadium einer Ermittlung musste der leitende Beamte erst einmal seinen gesamten Terminkalender säubern, denn die ersten vierundzwanzig Stunden nach der Entdeckung eines Verbrechens waren von entscheidender Bedeutung.
Grace schaute auf seine Notizen; »Freitag, 9. Januar, 18.30 Uhr. Erste Besprechung der Operation ›Schwertfisch‹.«
Grace freute sich, dass alle vertrauenswürdigen Kollegen bis auf einen zur Verfügung standen. Um ihn herum saßen DC Nick Nicholas, der als junger Vater wie immer übermüdet aussah, DC Emma-Jane Boutwood, die überaus effektive DS Bella Moy, wie immer mit einer offenen Schachtel Maltesers vor sich, der streitsüchtige DS Norman Potting und Graces Freund und Protegé DS Glenn Branson.
Es fehlte nur Guy Batchelor, der Urlaub genommen hatte und durch einen Detective Constable vertreten wurde, mit dem Grace vor einiger Zeit zusammengearbeitet und der ihn sehr beeindruckt hatte. Michael Foreman war ein schlanker, ruhiger Mann, der Autorität ausstrahlte und dessen Ruhe die Menschen unwillkürlich anzog. Grace sagte ihm eine große Karriere voraus.
Zum Team gehörten auch wie immer John Black, der HOLMES-Analyst, ein milder, grauhaariger Mann, der ebenso gut Buchhalter hätte sein können, und DC Don Trotman, der für den Öffentlichkeitsschutz zuständig war und überprüfen würde, ob kürzlich freigelassene Sexualstraftäter eine ähnliche Vorgehensweise wie der von ihnen gesuchte Mann aufwiesen.
Neu dabei war die Analystin Ellen Zoratti, die eng mit der Polizei in Brighton und dem HOLMES-Analysten zusammenarbeiten und Überprüfungen in der nationalen Datenbank der Polizei und der Analyseabteilung für Kapitalverbrechen durchführen würde.
Ebenfalls neu war die Pressebeauftragte Sue Fleet aus dem neu aufgestellten PR-Team der Polizei. Die freundliche 32-jährige Rothaarige, früher eine beliebte und vertrauenswürdige Kollegin des Polizeireviers in der John Street, hatte Dennis Ponds ersetzt, einen ehemaligen Journalisten, der sich bei der Polizei nie wirklich wohl gefühlt hatte.
Grace wollte, dass Sue Fleet so schnell wie möglich eine Medienstrategie entwarf. Er brauchte rasche Rückmeldungen aus der Öffentlichkeit und musste die weibliche Bevölkerung auf mögliche Gefahren aufmerksam machen. Gleichzeitig wollte er keine Panik in der Stadt erzeugen. Sie mussten beim Umgang mit den Medien das Gleichgewicht wahren, und das würde keine leichte Aufgabe für Sue Fleet sein.
»Bevor ich anfange«, sagte Grace, »möchte ich euch alle einige Statistiken ins Gedächtnis rufen. Die Aufklärungsrate bei Mordfällen ist in Sussex recht gut – im vergangenen Jahrzehnt konnten wir 98 % aller Mordfälle aufklären. Bei Vergewaltigung liegen wir jedoch hinter dem
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