Du sollst nicht sterben
trug. Es gab weder vaginal noch anal Hinweise für eine Penetration mit dem Teil eines Schuhs.«
»Möglicherweise wurde er gestört und ist geflohen«, erwiderte Proudfoot.
Grace hob einen weiteren Finger. »Mag sein. Viertens ist Mandy Thorpe mollig – man könnte sie auch als fett bezeichnen. Stark übergewichtig. Alle bisherigen Opfer waren schlank.«
Der Psychologe schüttelte den Kopf. »Die Figur ist kein entscheidender Faktor. Er ist auf der Jagd. Wichtig ist der zeitliche Rahmen. Beim Schuh-Dieb hatten wir Intervalle von zwei Wochen. Die neue Serie begann mit Abständen von einer Woche, jetzt sind wir bei zwei Tagen angekommen. Niemand kann wissen, was er in den zwölf Jahren dazwischen gemacht hat, aber sein Appetit könnte größer geworden sein. Entweder hat er ihn jahrelang unterdrückt, oder er empfindet jetzt größeres Selbstvertrauen, weil er weitergemacht hat und nicht erwischt wurde. In einem bin ich mir jedoch sicher: Je länger ein Täter wie dieser ungeschoren davonkommt, desto unbesiegbarer fühlt er sich und desto mehr will er haben.«
»Ich gebe heute Mittag eine Pressekonferenz, Dr. Proudfoot. Was ich dort sage, könnte später auf uns zurückfallen. Ich möchte korrekte Informationen liefern, die uns helfen, unseren Mann zu fassen, und der Öffentlichkeit eine gewisse Sicherheit vermitteln. Sie wollen doch sicher auch, dass ich möglichst korrekte Informationen liefere – damit Sie nicht später des Irrtums bezichtigt werden.«
Proudfoot schüttelte den Kopf. »Ich irre mich selten, Detective Superintendent. Sie werden nicht danebenliegen, wenn Sie auf mich hören.«
»Das ist tröstlich«, sagte Grace kühl.
»Sie sind doch ein alter Hase, genau wie ich«, fuhr Proudfoot fort. »Sie stehen unter politischem und kommerziellem Druck. Das weiß ich, das gilt für alle leitenden Kripoleute, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Aber was ist schlimmer für die Öffentlichkeit? Die Vorstellung, dass in ihrer Stadt ein gewalttätiger Sexualtäter Frauen auflauert oder dass es sogar zwei sind?« Der Psychologe schaute ihn eindringlich an und hob die Augenbrauen. »Ich weiß, wie ich mich entscheiden würde, wenn ich den Ruf meiner Stadt schützen wollte.«
»Ich lasse mich nicht von Politikern zu falschen Entscheidungen zwingen«, erwiderte Grace.
»Roy, darf ich Sie so nennen?«
Grace nickte.
»Sie haben es hier nicht mit einem Otto Normalverbraucher zu tun, Roy. Der Typ ist clever. Er jagt seine Opfer. Etwas in seinem Kopf treibt ihn dazu, das Gleiche zu tun wie früher, aber er ist nicht blöd und ändert daher seine Vorgehensweise. Er würde sich totlachen, wenn er unser Gespräch hören könnte. Es ist nicht nur das Machtspiel gegenüber Frauen, das er genießt; er genießt auch seine Macht über die Polizei. Es ist alles Teil seines kranken Spiels.«
Grace überlegte. Seine Erfahrung als Kriminalbeamter riet ihm, auf Fachleute zu hören, sich aber nicht von ihnen beeinflussen zu lassen und sich stets eine eigene Meinung zu bilden. »Ich verstehe, was Sie meinen.«
»Das will ich hoffen, Roy. Schauen Sie sich meine Erfolge an, falls Sie noch Zweifel haben. Ich verrate Ihnen noch etwas über diesen Täter. Er ist jemand, der eine sichere Zuflucht braucht, ein festes Schema. Er hält sich an das gleiche Muster, das er schon früher gehabt hat. Das ist seine Zuflucht. Er holt sich seine Opfer an gleichen oder ähnlichen Orten. Noch in dieser Woche wird eine Frau in einem Parkhaus im Stadtzentrum vergewaltigt und ihrer Schuhe beraubt werden. Das können Sie gern auf der Pressekonferenz bekanntgeben.«
Die Selbstzufriedenheit des Mannes brachte Grace auf die Palme. Andererseits brauchte er ihn. Er griff in diesem Augenblick nach jedem verdammten Strohhalm. »Ich kann nicht das ganze Stadtzentrum überwachen lassen – dafür fehlen uns die Mittel. Selbst wenn wir es mit Uniformierten abriegeln, werden wir ihn nicht fangen, sondern nur woandershin treiben.«
»Ich halte Ihren Mann für schlau und kühn genug, um es genau vor Ihrer Nase zu tun. Vielleicht verschafft ihm das sogar einen Kick. Sie könnten die Stadt komplett von der Polizei absperren lassen, und er würde sein Opfer dennoch erwischen.«
»Wie beruhigend. Was schlagen Sie also vor?«
»Sie werden ein bisschen raten müssen und auf Glück hoffen. Oder –« Er dachte einen Augenblick nach. »Dennis Rader war ein besonders übles Exemplar. Er nannte sich selbst FFT, das stand für Fesseln, Foltern, Töten. Man fasste
Weitere Kostenlose Bücher