Du sollst nicht sterben
ihn nach zwölf Jahren Untätigkeit, weil die Lokalzeitung etwas über ihn brachte, das ihm nicht gefiel. Es war reine Spekulation.«
»Was wurde denn geschrieben?«, fragte Grace, der plötzlich neugierig geworden war.
»Ich glaube, sie stellten die Männlichkeit des Täters in Frage. Von einem können Sie ausgehen: Ihr augenblicklicher Täter behält die Medien genau im Auge und liest jedes Wort in der Lokalzeitung. Ego und Revierverhalten gehören zusammen.«
»Meinen Sie nicht, dass wir ihn zu weiteren Taten treiben, wenn wir ihn provozieren?«
»Nein, das glaube ich nicht. Er ist vor zwölf Jahren davongekommen. Wer weiß, was er seither verbrochen hat. Und jetzt die neuen Angriffe. Ich stelle mir vor, dass er sich für unbesiegbar hält, ein Superhirn, eine Supermacht. So hat ihn die Presse bisher dargestellt. Wenn man den Schuh-Dieb zum Dämonen stilisiert, zum Ungeheuer von Brighton and Hove, schießen die Zeitungsverkäufe landesweit in die Höhe, ebenso die Zuschauerzahlen bei den Fernsehnachrichten. Dabei haben wir es in Wirklichkeit mit einem gemeinen, verkorksten Außenseiter zu tun, der eine Schraube locker hat.«
»Also sollten wir die örtliche Presse dazu bringen, etwas Abfälliges über seine Männlichkeit zu schreiben? Dass er einen kleinen Pimmel hat oder so?«
»Wie wäre es mit der Wahrheit: dass er ihn nicht hoch bekommt oder nicht hoch behalten kann? Das würde kein Mann gerne lesen.«
»Es ist gefährlich. Er könnte Amok laufen.«
»Er ist schon gefährlich genug, Roy. Im Augenblick jedoch ist er clever, berechnend, lässt sich Zeit und begeht keine Fehler. Wenn Sie ihn in Wut versetzen, wird er die Beherrschung verlieren und Fehler machen. Und dann erwischen Sie ihn.«
»Oder sie. «
59
Jetzt
Montag, 12. Januar
Der Sussex Square gehörte zu den architektonischen Kronjuwelen von Brighton. Der Platz bestand aus einer geraden und zwei halbmondförmigen Straßen mit Häusern aus der Regency-Zeit, aus denen man auf riesige Gärten und den Ärmelkanal blickte. Die Häuser waren ursprünglich als Wochenendsitze für Reiche errichtet worden. Heutzutage waren die meisten in Einzelwohnungen aufgeteilt, hatten dabei aber nichts von ihrer Pracht verloren.
Er fuhr langsam mit dem Lieferwagen an den hohen, imposanten Fassaden vorbei, die alle einheitlich weiß gestrichen waren, und hielt Ausschau nach Nr. 53.
Er wusste, dass dieses Haus noch als Einfamilienhaus diente. Es gab fünf Stockwerke, die Dienstbotenquartiere befanden sich unter dem Dach. Ein schöner Wohnsitz, dachte er, genau richtig für einen Mann wie Rudy Burchmore, den Vizepräsidenten Europa von American and Oriental Banking, und seine Frau, die Salonlöwin Dee. Ein ideales Haus, um stilvoll Gäste zu empfangen. Um Leute zu beeindrucken. Um teure Schuhe zu tragen.
Er fuhr noch einmal um den Platz herum, zitternd und mit feuchten Händen, so aufgeregt war er. Dann hielt er ein Stück vor dem Haus und steuerte eine Parklücke auf der Gartenseite an. Eine gute Stelle. Von hier aus konnte er ihr Auto und ihre Haustür sehen, doch sie würde ihn nicht bemerken.
Er war unsichtbar!
Er hatte gelernt, dass für die Bewohner dieser Luxuswelt manche Dinge einfach unsichtbar waren. Es gab unsichtbare Menschen wie Straßenfeger, Putzfrauen im Büro und Bauarbeiter. Dann gab es unsichtbare Fahrzeuge, Milchwagen, weiße Lieferwagen und Taxis. Drogenhändler fuhren häufig Taxi, weil sie darin spätabends keinen Verdacht erregten. Im Augenblick eignete sich der Lieferwagen allerdings besser für seine Zwecke.
Er lächelte. Seine Erregung wuchs, sein Atem ging schneller. Er roch noch immer ihr Parfum, Code von Armani. Er roch es so intensiv, als wäre der ganze Lieferwagen davon durchdrungen.
Oh ja, du Schlampe! ,dachte er. Oh ja, oh ja, oh ja.
Er würde es genießen, den Duft einzuatmen, während er sie zwang, Dinge mit diesen Schuhen zu tun. Und auch, wenn er Dinge mit ihr tat. Sie würde vor Angst schwitzen, und ihr Schweiß würde den Duft noch verstärken.
Er konnte sich genau vorstellen, wie sie in den blauen Manolos aus der Haustür trat, umwogt von ihrem Parfum. Er konnte sich genau vorstellen, wie sie sich hinter das Steuer ihres Autos setzte. Wie sie an einer sicheren Stelle parkte, so wie sie es am Samstag getan hatte, in einer Tiefgarage.
Er wusste genau, wann sie diese Schuhe tragen würde. Das hatte sie am Samstag im Geschäft erzählt, als sie sie gekauft hatte. Für die nächste besondere Gelegenheit, hatte sie zu der
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