Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
kannte, fragte ich, ob ich Genscher einschalten könne. »Selbstverständlich«, erklärte Sheikh Attar. Dann notierte ich die wichtigsten Punkte, die zu beachten seien. Sie hatten erwartungsgemäß viel mit Gesichtswahrung und politischen Gesten zu tun.
Wenige Tage später saß ich bei Hans-Dietrich Genscher. Er bat mich um schriftliche Unterlagen und versprach, Westerwelle zu informieren. Noch in der Nacht schrieb ich für ihn eine Aktennotiz. Mitte Februar flog Westerwelle nach Teheran und traf dort den iranischen Außenminister Salehi. Kurz danach waren die beiden deutschen Journalisten wieder zu Hause.
Ich weiß, dass sich noch viele andere, bedeutendere Personen für die Freilassung der Bild -Reporter eingesetzt hatten. Und dass das äußerst wichtig war. Aber ohne Sheikh Attars, Genschers und Westerwelles Flexibilität hätte nichts funktioniert. Westerwelle hatte vor allem die Klugheit, nach Täbris zu reisen. Er fand dort auch die richtigen Worte.
Wenn es aber klug ist, nach Täbris zu reisen, um deutsche Journalisten aus iranischen Gefängnissen herauszuholen, wäre es dann nicht auch klug, nach Iran zu reisen, um den lebensgefährlichen Konflikt zwischen dem Westen und Iran zu beenden? Um Frieden zu schaffen?
Mein jüdischer Freund in Teheran
April 2012. Bei meinen Internetrecherchen zu Iran war ich mehrfach auf den iranischen Juden Ciamak Moresadegh gestoßen. Er war Parlamentsabgeordneter, Arzt und Direktor des berühmten jüdischen Sapir-Hospitals in Teheran. Sein Satz »Antisemitismus ist kein islamisches, sondern ein europäisches Problem« hatte sich bei mir tief eingeprägt. Ich musste diesen Mann kennenlernen. Vielleicht gab es ihn ja gar nicht. Ein jüdischer Iraner, der sein iranisches Vaterland liebte – eigentlich konnte das gar nicht wahr sein. Vielleicht war er eine Erfindung des iranischen Geheimdienstes.
Doch dann sitzt dieser erst 48-jährige freundliche, kräftige Mann mit der hohen Stirn im Frühjahr 2012 vor uns. Er lächelt Frédéric und mich an und schenkt uns Tee ein. »Ist das nicht ein großartiges Krankenhaus?«, fragt er.
Mit Ciamak Moresadegh beginnt 2012 eine zauberhafte Reise durch Iran. Moresadegh ist auf vieles stolz. Darauf, dass 80 Prozent seiner Patienten Muslime sind. Dass sie für ihre Behandlung nur wenig, oft gar nichts bezahlen müssen. Und dass er Iraner ist, jüdischer Iraner. Wie etwa 25000 Juden, deren Familien teilweise schon seit 2500 Jahren hier leben. Seit der persische König Kyros der Große sie um 530 vor Christi Geburt aus der Babylonischen Gefangenschaft befreit hatte.
Moresadegh würde mit westlichen Besuchern gerne über die vier jüdischen Schulen in Teheran sprechen, über die jüdischen Kindergärten, die koscheren Restaurants und Metzgereien. Darüber, dass der iranische Staat auf Anweisung Ahmadinedschads sein jüdisches Krankenhaus jährlich mit einer Million Dollar unterstützt. Und dass in Iran nicht alles, aber vieles anders ist, als es im Westen geschildert wird. Von Politikern, die noch nie hier waren.
Moresadegh hat sich wie alle Iraner an die Heftigkeit gewöhnt, mit welcher der internationale Streit über die angeblichen Nuklearwaffenpläne seines Landes geführt wird. An den westlichen Alarmismus, mit dem das Thema Iran immer wieder in die Schlagzeilen der Weltpresse gepeitscht wird. Er fragt mich, ob es manchen westlichen Politikern nicht peinlich sei, dass ihre Voraussagen im Nuklearkonflikt nie eingetreten seien. Schon vor 20 Jahren hätten westliche Politiker und Publizisten angekündigt, dass Iran in Kürze Atomwaffen besitzen werde.
Außerdem glaube in Iran kaum jemand, dass es dem Westen um Demokratie gehe. »Hier hat niemand vergessen, dass die USA und Großbritannien 1953 unseren ersten demokratischen Ministerpräsidenten, Mohamed Mossadegh, weggeputscht haben. Weil er die westlichen Ölfirmen verstaatlichen wollte. Stattdessen hat man uns einen Kaiser, den Schah, vor die Nase gesetzt. Sie müssen sich das vorstellen: Anstelle eines demokratischen Regierungschefs bekamen wir vom Westen einen Kaiser! Das sollen die Iraner aus ihrem Gedächtnis löschen? Damit fing doch die ganze Misere an!«
Ich frage Moresadegh nach den Rechten der Juden in Iran. Er antwortet, wer 2500 Jahre in einem Land bleibe, müsse es sehr lieben. Juden könnten – ähnlich wie Christen – zwar nicht Präsident oder Minister werden. Aber sie hätten ein Anrecht auf einen Parlamentssitz, obwohl sie nur 25000 Staatsbürger seien. Ansonsten
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