Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Pulli in den amerikanischen Nationalfarben. Aufschrift » USA «. In der Hand hielt er ein kleines Radiogerät. Er lauschte amerikanischer Popmusik und tanzte zu ihren Klängen. Teheran 2012. Unsere Politiker haben wirklich keine Ahnung von diesem Land.
Reza, ein 28-jähriger Inhaber eines kleinen Elektronikladens, führte uns durch den Basar. Er half uns beim Handeln und erklärte uns die Kunst, den »fairen Preis« herauszufinden. Wenn man den unterschreite, beende jeder Händler das Geschäft. Selbst in diesen schweren Zeiten.
Reza hatte Angst vor der Zukunft. Er mochte das Regime nicht. Er wollte nicht, dass Geistliche Politik machten. Doch er liebte sein Land. »Warum glaubt der Westen eigentlich, dass er das Recht hat, alle Probleme dieser Welt mit Bomben zu lösen?«, fragte er plötzlich. »Iran braucht Freiheit, keine Bomben.« Reza war auf einmal sehr mutlos.
Er lotste uns in eine Imbissstube, die rappelvoll war. Wir mussten lange anstehen. Dann gab es köstliches Schisch Kebab. Reza aß kaum. »Würden Sie an meiner Stelle das Land verlassen?«, fragte er mich leise.
Spätabends fuhren wir zum »Wasser-und-Feuerpark«. Hier hatte nach alter Überlieferung Urvater Ibrahim aus Feuer Blumen gemacht. Junge Leute spielten Federball, andere gingen spazieren, andere aßen Softeis. Es war kurz nach Mitternacht. Teheran lebte auf. Im Dunkeln wurden die kleinen Freiheiten des Tages größer.
Autoflirten heißt eine der Lieblingssportarten zu dieser Nachtzeit. Autos mit Jungs oder Mädchen überholen sich mehrmals, prüfen, entscheiden, fahren weiter – oder auch nicht. Die Nacht ist ein wichtiges Ventil für die lebensfrohen jungen Iraner. Die Partys in Teheran gehören zu den wildesten der Welt. Die Berichte darüber sind enthusiastisch. Trotz zahlreicher Einladungen bin ich bewusst nie zu einem dieser Feste gegangen. Ich wollte nie erpressbar sein.
Reza zeigte auf den gegenüberliegenden Wald. Dort wurde er als junger Soldat oft hingeschickt, um nach Pärchen zu suchen, »die miteinander spielten«. Aber er habe nie welche zurückgebracht. Das sei ihm »zu blöd« gewesen. Inzwischen habe man diese Liebespatrouillen eingestellt. »Khudara hazaar baar schuker ast – Gott sei tausendmal gedankt«, lachte Reza.
Die Heimat Khomeinis
In Ghom, dem geistigen Zentrum des Schiitentums, trafen wir diesmal Ayatollah Abbas Ka’bi Nasab. Er ist Mitglied des »Wächterrats« und des Expertenrats, das den »Supreme Leader«, den »Religionsführer« des Landes, wählt und überwacht. Er gilt als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten Irans. Ka’bi war dafür bekannt, dass er keinem Streit aus dem Weg ging. Auch nicht mit dem obersten Führer des Landes, Ali Chamenei.
Ursprünglich sollte das Treffen mit großem Aufwand für die iranischen Medien gefilmt werden. Da ich das nicht wollte, verzichteten meine Gastgeber sofort. Frédéric jedoch durfte filmen. Das nenne ich Gastfreundschaft. Der Ayatollah sah nicht nur gut aus, er war auch gut gelaunt. Selbst von den heikelsten Fragen ließ er sich die Laune nicht verderben. Ich fragte ihn, wie er das mache. »Sadness in your heart, smile in your face«, antwortete er. «Wenn dein Herz traurig ist, musst du lächeln.«
Wir diskutieren über die Voraussetzungen, die der oberste religiöse Führer des Landes erfüllen müsse. Laut Abbas Ka’bi muss er kein Geistlicher, kein Ayatollah sein, sondern lediglich Jurist, Politiker und »Religionsexperte«. Auch ein Theologieprofessor könne »Supreme Leader« werden. Ich will wissen, ab wann man Religionsexperte sei. Jurist und ehemaliger Politiker sei ich ja schon. Ich könne fragen, solange ich wolle, lacht Ka’bi. Als »Supreme Leader« fehle mir die dritte Qualifikation. Ich sei nun mal kein echter Theologe. Auch wenn ich Bibel und Koran gelesen hätte. Zwei von drei Punkten reichten nicht. Frédéric ist äußerst erleichtert.
Dann wird Abbas Ka’bi wieder ernst. Nuklearwaffen dürfe Iran selbst dann nicht besitzen, wenn seine Politiker sie wollten. Diese Frage sei durch eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten Chameneis, theologisch abschließend entschieden. Atomwaffen seien Waffen des Völkermords, da sie unterschiedslos Menschen und Natur zerstörten. Der Koran verbiete das.
Frédéric will wissen, ob die Behauptung von Irangegnern stimme, dass diese Fatwa auch wieder aufgehoben werden könne, wenn die Verhältnisse dies sinnvoll erscheinen ließen. Abbas Ka’bi antwortet freundlich, aber bestimmt:
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