Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
seien sie völlig gleichberechtigt. Im Westen lese man häufig von der »Dschizya«, einer Sondersteuer für Nicht-Muslime für die Freistellung vom Militärdienst. Doch die gebe es schon seit Ewigkeiten nicht mehr.
Iran sei in der Tat antizionistisch, aber nicht antisemitisch. Dass führende Politiker diese zwei Dinge verwechselten, sei peinlich. Natürlich habe es den Holocaust gegeben. Aber nicht in Iran, sondern in Europa. Auch Ahmadinedschad leugne das nicht wirklich. Aber er stelle unbequeme Fragen, zum Beispiel, warum die Palästinenser dafür bezahlen müssten. Und warum man zu diesem Thema keine Fragen stellen dürfe.
Nuklearwaffen nennt er »töricht und dumm«. Iran brauche sie nicht. Es sei auch ohne diese Waffen eine Regionalmacht. Aber sein Land habe wie alle Länder das Recht auf zivile Nutzung der Kernenergie. Zum Beispiel für medizinische Zwecke.
Moresadegh ist ein warmherziger Mensch. Als wir uns nach anderthalb Stunden verabschieden, ist es wie die Trennung von einem Freund. »Schade, dass wir ständig vergessen, dass wir alle den gleichen Gott haben«, sage ich. Moresadegh lacht. »Nicht nur das. Wir vergessen auch, dass wir alle Menschen sind. Und gleich viel wert.«
Dann fragt er, ob wir am Ende unserer Iranreise mit ihm zusammen in einer Synagoge das Schabbat-Fest feiern wollten. Wir würden ihm damit eine große Freude machen. Selbstverständlich wollen wir.
Im »Großen Basar«
Nachmittags schlenderten Frédéric und ich über den »Großen Basar«. Hier gab es angeblich 200000 Läden und eine Million Händler. Aber das war es nicht, was Frédéric am meisten beeindruckte. Ihn faszinierten die bezaubernden, fröhlichen Mädchen und Frauen, die ihn mit unbeschreibbarem Charme anflirteten. Junge Frauen in engen Jeans und taillierten Kurzmänteln. Ihre Kopftücher waren nur angedeutet und ganz weit hinten am Dutt befestigt. Kopftuchzwang hatte sich Frédéric ganz anders vorgestellt. Junge Pärchen liefen Hand in Hand durch den Basar inmitten würdiger Damen im traditionellen Tschador.
Wo war nur die Sittenpolizei, von der man bei uns so oft las? Vieles hatte sich in Iran in dieser Beziehung in den letzten sieben, acht Jahren geändert. Damals hatte uns ein junges Mädchen noch erzählt, wie ihre Mutter ihren Regenschirm und ihre laute Stimme sehr zielgerichtet einsetzen musste, um sie nach einem Rendezvous aus den Fängen eines Sittenwächters zu befreien. Der habe dann allerdings schnell die Flucht angetreten.
Frédéric rieb sich die Augen. Das war der »größte Terrorstaat der Welt«, der »sein eigenes Volk tyrannisiert und es auf der Straße totschießt«? Das Bild des Westens von Iran war Lichtjahre von der Realität entfernt. Der einzige »Extremismus«, dem wir auf den Straßen begegneten, war die extreme Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der Iraner.
Natürlich wusste ich, dass, wenn gefoltert wird, dies nicht auf den Straßen und in den Basaren geschieht. Das gilt allerdings für die gesamte Welt. Auch für die USA . Und dass Iran – wie der lange Hausarrest von Mussawi und Karroubi zeigte – kein Leuchtturm politischer Freiheit war, wusste ich auch. Aber war der Überwachungsstaat USA noch ein Leuchtturm der Freiheit?
Iran hat einen enormen Nachholbedarf an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das konnte und musste man ansprechen. Bei meiner Rede in Teheran im Jahr 2008 hatte ich das auch getan. Aber musste man dabei alles so maßlos übertreiben wie einige westliche Scharfmacher? Etwa wie Mitt Romney, Obamas Herausforderer, der 2012 Iran eine »zum Völkermord neigende Nation« 88 nannte, die »größte Bedrohung seit den Nazis und den Sowjets«. 89 Welch eine Verharmlosung der Nazis und der Sowjets!
Da ich bei der Flughafenkontrolle in Deutschland meinen Gürtel liegengelassen hatte, machte ich mich im Basar auf die Suche nach einem preiswerten Ersatz. Beim Handeln kam ich mit dem Ladenbesitzer ins Gespräch. Die Basaris sind mächtige Leute. Irankenner sagen, dass sie seinerzeit den Schah gestürzt hätten. Mein Basari Ali sagte: »In allen Ländern gibt es wunderbare Menschen. Auch in den USA . Aber die Regierungen sind verrückt. In Iran und in den USA . Das ist das Trauerspiel.« Vor einem Angriff der USA oder Israels habe er keine Angst. »Wir sind stark und Tausende Jahre alt. Nicht erst ein paar Jahrhunderte wie die USA .«
Alis Geschäft lag am Rande des Großen Basars. Draußen auf dem Gehweg sahen wir einen kleinen Iraner auf Rollschuhen. Er trug einen
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