Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
»Menschen, die behaupten, ein religiöser Führer könne Fatwas zur Täuschung der Menschen erlassen und dann einfach wieder korrigieren, zeigen nur, dass sie vom Islam nichts verstehen.«
Niemand könne die Fatwa Chameneis überstimmen oder zurücknehmen. Selbst Chamenei nicht. Das wäre sein Ende. Weil niemand den Koran überstimmen oder zurücknehmen könne. Das wäre ein Frontalangriff auf die Glaubwürdigkeit des Koran. Doch diese Feststellung sei hypothetisch, da niemand entschlossener hinter dem Religionsgutachten stehe als Chamenei selbst. Iran sei bereit, diese Fatwa bei den Vereinten Nationen zu hinterlegen und dadurch zu »säkularisieren«.
Abbas Ka’bi wundert sich über die Unterstellung des Westens, sein Land habe Kriegsabsichten gegenüber Israel oder anderen Ländern. Die jetzige iranische Führung sei zwar ein politischer Gegner des »Regimes« in Israel. Das habe sie immer wieder erklärt. So wie sie Gegner des Schah-Regimes gewesen sei. Aber sie habe auch mehrfach betont, dass Iran Israel nie angreifen werde. Das könne man doch nicht einfach unterschlagen.
Iran habe seit 150 Jahren kein einziges Land angegriffen, während die USA allein seit dem Zweiten Weltkrieg über 20 Länder bombardiert hätten. Dann zählt er auf: Afghanistan, Pakistan, Korea, Grenada, Irak, Nicaragua, Panama, Somalia, Sudan, Vietnam, Jemen, Jugoslawien und so weiter. Die Liste der von den USA angegriffenen Staaten sei lang. Iran hingegen sei mehrfach überfallen worden. Zuletzt von Saddam Hussein mit massiver Unterstützung des Westens und vor allem der USA .
Dass nun Iran gegenüber den USA und Israel, die ständig mit Militärschlägen drohten, seine Friedfertigkeit beweisen solle, stelle die Dinge auf den Kopf. Die Nuklearfrage sei nur ein Vorwand, um Iran in die Knie zu zwingen. Für das amerikanische Imperium scheine es wichtig zu sein, in strategisch wichtigen Regionen jede eigenständige Politik zu verhindern. Gegen die Nuklearwaffen befreundeter Staaten wie Indien, Pakistan und Israel hätten die USA nie protestiert. Wieso eigentlich nicht? Die ganze Nukleardiskussion sei unredlich. Es gehe um ganz andere Dinge. Vor allem um die uneingeschränkte Vorherrschaft im Mittleren Osten.
Wir verabschieden uns. Beim Hinausgehen sagt uns einer der Gesprächsteilnehmer: »Es ist schon seltsam. Unser Land, unsere Geografie, unsere gesamte Geschichte werden auf eine einzige Person reduziert, auf Ahmadinedschad. Und der wird auf einen Satz reduziert. Und dieser eine Satz wird auch noch bewusst falsch übersetzt. Im Westen nennt man das ›Reduktion von Komplexität‹. Im Grunde ist es einfach nur unfair.«
Wir machen einen Abstecher zum Haus des Revolutionsführers Khomeini. Von außen ist es unscheinbar. Doch der Innenhof ist geschmackvoll, warm, gemütlich. Hier hat Khomeini nach der Revolution eine Zeit lang gelebt. Bemerkenswerterweise wird der Revolutionsführer selbst von jugendlichen Regimegegnern respektiert. Aber hat er sein Land in die richtige Richtung geführt? Oder in eine Sackgasse?
Traumstadt Isfahan
Spätabends sind wir in Isfahan. Die einstige Hauptstadt der Safawiden ist eine orientalische Märchenstadt. Voll mittelalterlicher Prachtbauten, Basare und herrlicher Parkanlagen. Nach einem kurzen Stadtbummel fallen wir todmüde ins Bett. Ich träume von Ayatollahs und Frédéric von den koketten verschleierten Mädchen von Ghom.
Am nächsten Morgen zieht es uns zum Meidan-e Emam, einem der spektakulärsten Plätze der Welt. Hier habe ich bei meinen früheren Iranreisen unzählige Stunden verbracht. Ich kenne jeden Winkel. Mit Ali, einem 22-jährigen Geschichtsstudenten, trinken wir heißen Minztee. »Wie viele Terroristen sind euch heute schon begegnet?«, fragt er lachend. Das ist der Running Gag , der Lieblingswitz der Iraner gegenüber Ausländern. »Wir wissen alle, was im Westen über uns geschrieben wird.«
Ali bekennt sich offen zur grünen Protestbewegung. Das iranische System hält er für unzeitgemäß und repressiv. Wegen umstürzlerischer Umtriebe während der Großdemonstrationen 2011 hatte man ihn zwei Wochen ins Gefängnis gesteckt.
Nur in einem Punkt gibt Ali dem Regime recht. In der Nuklearfrage. Niemand in Iran wolle Atomwaffen. Die taugten zu nichts. Das Land sei umgeben von Staaten mit Tausenden Atomwaffen. Von Russland, China, Indien, Pakistan, Israel und den USA . Vor allem die USA hätten zahllose Stützpunkte rund um Iran. Was solle Iran da mit ein paar Gefechtsköpfen?
Aber
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