Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Massaker geschehen sein sollte. In Wiriyamu, südlich der Stadt Tete, zwischen den Flüssen Sambesi und Luenha.
Mit Enrique, einem jungen portugiesischen Soldaten, stehe ich im kniehohen Savannengras zwischen verbrannten Hütten und verdorrten Bäumen. Enrique sagt leise: »Hier und im Nachbardorf Chawalla hat das Massaker stattgefunden. Getötet wurden überwiegend Frauen, Kinder und alte Männer. Die Kleinkinder wurden in den Armen ihrer Mütter erschossen oder gegen einen Baum geschlagen.«
Ich gehe durch das Dorf. Über die Gräber der Toten ist Gras gewachsen. Doch selbst das ist schon verwelkt. Die Sonne brennt unerbittlich. »Es waren keine 400 Tote, aber das spielt keine Rolle«, fährt Enrique fort. »Wiriyamu ist unsere Schande. All das wird bald zu Ende sein. Diese Regierung und diese Kriege haben keine Zukunft.« Meine Frage, wie er das meint, beantwortet er nicht. Er hat als Soldat schon zu viel gesagt.
Enrique führt mich zu zwei weiteren Ortschaften, die erst kürzlich zerstört worden sind. Zweihundertachtzig Hütten seien hier ausgeraubt und niedergebrannt worden. Der beißende Geruch verbrannter Holzkohle liegt noch in der Luft. »Ein Rache- und Beutefeldzug der FRELIMO . Sie haben Versorgungsprobleme«, sagt Enrique. Ein Mitglied der Dorfmiliz, drei Frauen und drei Kinder seien bei dem Angriff getötet worden.
Ich frage ihn, warum die FRELIMO ihre eigenen Landsleute ermorde. Enrique schaut mich erstaunt an. »Sie fragen das ernsthaft? Das ist Krieg! Wissen Sie nicht, was Krieg ist?« Zwischen den Hütten finde ich Patronenhülsen. Sie stammen aus China. Die Portugiesen konnten es diesmal kaum gewesen sein. Schweigend steigen wir in unseren Jeep.
In dieser Nacht finde ich noch weniger Schlaf als sonst. Ich bin nach Mosambik geflogen, um die Wahrheit über Wiriyamu zu erfahren. Wahrscheinlich bin ich ihr auch recht nahe gekommen. Aber was ist mit den Vergeltungsaktionen der FRELIMO ? Die kämpfen doch für die Freiheit ihrer Landsleute und gegen Unterdrückung. Macht der Krieg auch Freiheitskämpfer zu Mördern?
Am nächsten Tag besichtigen wir in Lourenço Marques (Maputo) ein portugiesisches Gefängnis. Hier werden angeblich europäische Missionare gefangen gehalten und gefoltert. Sie sollen die FRELIMO unterstützt haben. Der Kommandant des Lagers bringt uns in frisch geweißelte Räume. Er will uns zeigen, wie großzügig, sauber und rechtsstaatlich hier alles ist. »Sie werden zugeben müssen, so sehen keine Folterkeller aus«, sagt er stolz.
Enrique deutet unauffällig auf eine bestimmte Ecke des Raumes. Dort schimmert durch die flüchtig aufgetragene Farbe ein großer dunkler Fleck. Getrocknetes Blut. Hier ist offensichtlich doch gefoltert worden. Mit versteinertem Gesicht gehe ich nach draußen.
Hundert Meter entfernt steht ein weiteres Gefängnis. Umschlossen von hohen Stacheldrahtzäunen. Ich bitte, auch dieses bestimmt genauso »rechtsstaatliche Gefängnis« sehen zu dürfen. Doch der Kommandant lehnt kategorisch ab. Hierzu habe er keinen Befehl erhalten. In Wirklichkeit ist ihm nicht entgangen, dass ich den übertünchten Blutfleck gesehen habe. Mir bleibt nichts anderes übrig, als wieder in unseren Jeep zu steigen.
In diesem Moment rennen zwei weiß gekleidete Padres an die hohen Stacheldrahtzäune und rufen mit verzweifelter Stimme: »Glauben Sie ihnen nicht. Die lügen. Die foltern jeden Tag.« Dann werden sie von Wärtern weggezerrt.
Mein Gespräch mit dem Lagerkommandanten ist eisig. Er versucht, wortreich zu erklären, dass die Padres kommunistische Agenten seien. Aber ich will jetzt nichts mehr hören. Wenn er recht hätte, könnte er mir ja das Gefängnis der Missionare zeigen. Auch er wird einsilbig. Mein Aufenthalt in Mosambik endet mit einem Missklang.
In Deutschland berichtete ich, dass das Massaker von Wiriyamu tatsächlich stattgefunden hat. Ich war der erste westliche Politiker, der es recherchiert und bestätigt hatte. Für die portugiesische Regierung war das ein Desaster. Sie hat Wiriyamu nicht lange überstanden. So wie Enrique es vorausgesagt hatte. Ein halbes Jahr später, im Frühjahr 1974, wurde die Regierung Caetano durch einen Putsch linksgerichteter Offiziere gestürzt.
Ich schilderte in Deutschland auch die Gewaltakte der FRELIMO gegenüber Zivilisten. Ich erklärte, dass sie ebenfalls nicht hinnehmbar seien. Auch nicht, wenn man das Anliegen ihres Freiheitskampfes unterstütze. Doch diese differenzierende Haltung hatte im damaligen politischen
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