Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Klima Deutschlands keine Chance.
Jeder, der neben der Gewalt der Unterdrücker auch die Gewalt der Aufständischen gegen Zivilisten kritisierte, musste mit dem Vorwurf rechnen, er stehe auf der falschen Seite. Ich hatte der Kolonialmacht Portugal, unserem NATO -Partner, große außenpolitische Probleme bereitet. Kollegen meiner Bundestagsfraktion hatten mich deswegen heftig angegriffen. Doch meine Kritiker aus den anderen Parteien interessierte das nur am Rande. Sie waren wütend, weil ich auch die FRELIMO kritisiert hatte. Wer für eine gerechte Sache kämpfe, dürfe notfalls auch Zivilisten töten. Der gerechte Zweck heilige auch ungerechte Mittel.
Diese Meinung ist bis heute weit verbreitet. Sie ist verhängnisvoll. Weil meist beide Seiten glauben, sie kämpften für eine gerechte Sache. Portugiesische Regierungsvertreter hielten mir stundenlange Vorträge, dass sie ebenso lange in Afrika seien wie die Europäer in Amerika. Afrika sei auch ihr Kontinent, ihre Heimat. Dass sie die Afrikaner jahrhundertelang ausgebeutet und wie Untermenschen behandelt hatten, davon sprachen sie nie. Aber hatten die Europäer in Amerika nicht das Gleiche mit den Indianern gemacht?
Rechtsstaatlich nicht legitimierte Gewalt gegen Zivilisten wird für mich immer ein Verbrechen sein. Egal, wer sie anwendet. Bestärkt hat mich in dieser Meinung vor allem die Lektüre von Büchern Mahatma Gandhis. Er war in Fragen der Gewaltlosigkeit viel kompromissloser. Er lehnte jede Gewalt ab, nicht nur die gegen Zivilisten. Weil er mehr Mut hatte. Auch den Mut, sich auslachen zu lassen. Er wurde als »halb nackter Fakir« (Churchill) verspottet, verhöhnt und auch gehasst. Und dennoch hat er die Weltmacht Großbritannien ohne Gewalt aus Indien vertrieben.
Am Ende wurde er wegen seiner Gewaltlosigkeit – und weil er als Hindu die Muslime seines Landes verteidigte – von Hindu-Terroristen ermordet. Einer seiner letzten Sätze lautete: »Wer ein Feind der Muslime ist, ist auch ein Feind Indiens.« 7 Gandhi praktizierte Nächstenliebe und Feindesliebe. Gewalt schaffe immer nur neue Gewalt.
Vaclav Havel schrieb 1982 aus dem Gefängnis an seine Frau Olga, wie sehr er Befreiungsbewegungen bewundere. Allerdings nur, solange sie nicht »den Terror der einen durch den Terror der anderen ersetzen«. 8 Der französische Philosoph André Glucksmann fragte im Spiegel 2005: 9 »Sind Unterdrückte, die es ablehnen, unterschiedslos zu töten, etwa Feiglinge? Für mich sind sie Helden. Terroristische Methoden haben die Ziele fast aller modernen Befreiungsbewegungen vergiftet, von Algerien bis Vietnam. Wenn die Mittel furchtbar werden, zerstören sie die besten Ziele.«
Die Sowjets in Afghanistan
An Weihnachten 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein, um der dortigen kommunistischen Regierung »brüderliche Hilfe« zu leisten. Die meisten westlichen Politiker wurden von der Invasion völlig überrascht. Sie waren im Weihnachtsurlaub. Nachrichten über den Krieg drangen damals und auch später kaum nach draußen. Westliche Journalisten durften nicht in die Kampfgebiete.
Ich habe während des gesamten Krieges versucht, die Informationsblockade der Sowjetunion zu durchbrechen. Wie andere auch. Männer wie Peter Scholl-Latour. Dazu musste ich allerdings erst einmal Kontakt zu den afghanischen Mudschaheddin aufnehmen. Auf Empfehlung eines amerikanischen Diplomaten setzte ich mich in Bonn mit Gulbuddin Hekmatyars Hizb-i-Islami in Verbindung. Sie war eine sogenannte fundamentalistische Kampftruppe. In US -Kreisen galt sie als wichtigste Freiheitsbewegung Afghanistans.
Nach mehreren heimlichen Treffen mit einem Vertreter der Mudschaheddin in verschwiegenen Nebenstraßen von Bonn war es schließlich so weit. Zusammen mit dem jungen Fotoreporter Richard Schulze-Vorberg ging es im August 1980 Richtung Peschawar. In dieser pakistanischen Grenzstadt hatten die meisten Mudschaheddin-Organisationen ihren Sitz.
Ich erklärte dem damals 33-jährigen Hekmatyar, dass ich den Kampf der Mudschaheddin gegen die sowjetische Besatzung nur so lange unterstützen würde, wie sie keine Gewalt gegen Zivilisten anwendeten. Hekmatyar wunderte sich ein wenig. Doch er versprach, immer daran zu denken. Er lächelte geheimnisvoll.
Wer 1980 von Peschawar nach Afghanistan wollte, musste über die hohen Berge des Hindukusch. Stundenlang ging es steil nach oben. Auf über 4000 Meter. Jeder Schritt wurde zur Qual. Unsere aus Pluderhosen und einem langen Hemd bestehende
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