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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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afghanische Nationaltracht war längst klatschnass geschwitzt. Warum hatte ich mir ausgerechnet den August als Reisemonat ausgesucht?
    Um vier Uhr morgens waren wir aufgebrochen. Fünf blutjunge, bis an die Zähne bewaffnete Kämpfer Hekmatyars begleiteten uns. In den schmalen Tälern des Hindukusch kamen uns endlose Gruppen von Flüchtlingen entgegen: Frauen, Kinder, Greise, aber nur wenige kampffähige Männer. Millionen Afghanen flohen damals auf diesem Weg nach Pakistan.
    Nur wenige besaßen ein Maultier, das sie und ihre Habe tragen konnte. Die meisten gingen zu Fuß. Die Jüngeren trugen die Älteren, die Frauen die Kinder und den Hausrat. Einige der Kleinen waren barfuß, manche hatten nur noch einen Schuh. Zwei Männer schleppten einen Greis auf einer Trage über die Gebirgskämme. Mich hatte schon der zehnstündige Aufstieg ohne Gepäck die letzten Kräfte gekostet.
    Das ganze Elend dieser Welt schien uns entgegenzukommen. Dennoch hielten manche Flüchtlinge an und fragten, ob sie uns Tee oder Brot anbieten könnten. Es waren unvergessliche Augenblicke. Fünf Millionen Afghanen hat das finanzschwache Pakistan damals aufgenommen. Eine große menschliche Leistung.
    Die weiten Ebenen Afghanistans sahen 1980 aus wie ein zerbombter Wüstenplanet. Wenn wir nicht durch Geröllwüsten liefen, ging es durch unbestellte Felder und niedergebrannte Dörfer. In einem Flecken, den wir durchquerten, stand von 30 Häusern kein einziges mehr. Wieder und wieder waren sie von sowjetischen Hubschraubern bombardiert worden. Die Mudschaheddin hatten gegen diese »gepanzerten Hunde« keine Abwehrmöglichkeit. Sobald sie sie in der Ferne hörten, verschwanden sie wie Wiesel in den Bewässerungsgräben entlang der Felder.
    Auch wir machen Bekanntschaft mit einem Kampfhubschrauber. Mehrmals überfliegt er die Baumgruppe, unter die wir geflüchtet sind. Immer tiefer zieht er seine Kreise. Hoch über ihm steht in der Luft ein zweiter Hubschrauber, der ihn dirigiert. Wir kauern in einem Erdloch und warten.
    Doch meine Neugier ist zu groß. Ich bitte Richard Schulze-Vorberg um seine Schmalfilmkamera. Dann gehe ich halb aus der Deckung der Bäume heraus und beginne den Hubschrauber zu filmen. Er steht weniger als 40 Meter über uns. Ich sehe das Gesicht des Piloten und weiß, er sieht meines. Ich bin oft im Hubschrauber unterwegs gewesen. Aus dieser Entfernung sieht man alles.
    Die Mudschaheddin rufen erregt, ich solle zurück in den Unterstand. Doch ich filme weiter. In fast blindem Vertrauen zu dem Piloten, der über uns kreist und mich im Visier hat. Er kommt immer tiefer. Ich kann ihm fast in die Augen sehen. Als er seine Flughöhe auf 30 Meter gesenkt hat, denken meine Begleiter, jetzt sei alles vorbei.
    Doch auf einmal drehen beide Hubschrauber ab. Sie fliegen zu einer anderen Baumgruppe, unter der wir 40 Minuten zuvor gerastet hatten. Dort gibt es eine gewaltige Explosion. Dann herrscht Stille. Die Hubschrauber sind verschwunden.
    Verstaubt kriecht mein Begleitkommando aus dem Unterstand. Keiner sagt ein Wort. Ich bin fest davon überzeugt, dass der niedrig fliegende Pilot seinen Leitpiloten bewusst zu einem falschen Ziel gelotst hat. Weil er sah, dass ich kein Kämpfer war. Und weil er nicht töten wollte. Danke, mein junger russischer Pilot! Ich hoffe, dass das Leben zu dir genauso fair war wie du zu uns.
    Der Tod des Mudschahid
    Vier Jahre später, im Winter 1984, gerieten wir in eine ähnlich kritische Situation. Begleitet wurde ich diesmal von dem deutschen Fernsehjournalisten Claus Bienfait und Karim, einem deutsch-afghanischen Übersetzer. Wir waren mit vier Pritschenwagen und zwei Dutzend Mudschaheddin unterwegs. Es war bitterkalt, ein steifer Wind pfiff uns entgegen. Die traditionelle afghanische Filzmütze, den Pakol, hatten wir tief ins Gesicht gezogen. Obwohl wir uns in mehrere Wolldecken, Pattus, gehüllt hatten, froren wir erbärmlich.
    Etwa 100 Kilometer jenseits der pakistanischen Grenze fuhren wir in Richtung einer vorgeschobenen sowjetischen Garnison. Von dort aus waren in den letzten Wochen mehrfach afghanische Dörfer angegriffen worden. Frauen und Kinder waren getötet worden. Doch jetzt war der sowjetische Stützpunkt angeblich von den Mudschaheddin eingekreist. Diese Stellungen wollte ich besichtigen. Im Westen waren die meisten Militärexperten der Auffassung, dass die Mudschaheddin gegen die Sowjetarmee keine Chance hätten. Der Krieg sei entschieden.
    Wir holperten über den sandigen Seitenweg eines

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