Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
mir gut gehe.
So geht das weiter bis Mitternacht. Dann endlich ist der 500-Euro-Schein akzeptiert. Zu einem rekordverdächtig räuberischen Wechselkurs. Müde gehe ich zum Aufzug. Ob ich sicher sei, dass es mir gut gehe, ruft mir Luis de Funès nach. Ich drehe mich nicht mehr um. Ich lasse mich auf mein Bett fallen und schlafe sofort ein.
Die Heimreise
Den kommenden Tag verbrachten wir damit, einen Ersatzpass und ein Einreisevisum zu bekommen. Ohne Pass und Einreise visum gibt es in Ägypten nicht nur keine Hotelzimmer, sondern auch keine Ausreise. Ohne Papiere ist man in Ägypten verloren.
Weder die deutsche Botschaft noch die ägyptische Zentralverwaltungsbehörde Mogamma waren bei der Beschaffung neuer Pässe besonders hilfreich. In der Mogamma arbeiten auf 14 Stockwerken dicht gedrängt 18000 Staatsbedienstete. Unter diesen geschäftig hin und her wuselnden Staatsameisen fühlten wir uns selbst wie Ameisen. Vor allem nachdem wir die Geschichte des Raketenbeschusses wieder und wieder erzählen mussten. Und stets diesen fragenden Blick ernteten: »Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht?« Stunden verbrachten wir in der Ameisenhochburg.
Als wir tags darauf endlich in einer Swiss-Maschine saßen, bat ich um die Neue Zürcher Zeitung . Ich wollte endlich etwas anderes lesen als immer nur Revolutionsberichte. Als ich das Blatt aufschlug, stockte mir der Atem. Auf Seite drei sprang mir ein »Reuter«-Foto unseres ausgebrannten Wagens und der übrigen Autowracks förmlich ins Gesicht. Zum ersten Mal sah ich, was von unserem Auto übrig geblieben war. Hinter der Düne hatten wir keine Sicht auf die über 100 Meter lange Todeszone gehabt.
Gaddafis Propagandateam hatte ausgewählte Journalisten, darunter einen »Reuter«-Journalisten ins »Tal der Flammen« geschickt. Anhand der sieben zerstörten Fahrzeuge hatte es dargelegt, dass seine Truppen die Lage zwischen Brega und Adschdabiya militärisch im Griff hätten.
Es war, als wollte mir das Schicksal immer wieder dieses schreckliche Ereignis vor Augen halten. Reichten meine Albträume denn nicht? Es gab Tausende Kriegsbilder aus Libyen. Warum hatte die NZZ ausgerechnet dieses Bild ins Blatt gehoben? War vielleicht doch alles nur ein böser Traum? Kommentarlos gab ich die Zeitung an Julia weiter.
In München angekommen, las ich die Süddeutsche Zeitung . Erneut riss mich ein Foto ins »Tal der Flammen« zurück. Diesmal war es eine Großaufnahme des über 30 Meter langen russischen Mehrfachraketenwerfers, der am 14. März unzählige Geschosse auf uns geschleudert hatte. Was wollte mir das Schicksal damit sagen, dass es jetzt auch noch das Bild der auf uns gerichteten Todesmaschine nachlieferte? Hatte ich diese Apokalypse wirklich erlebt, oder war ich in einem Science-Fiction-Film? Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper. Das alles sollte Zufall sein?
Die Rückkehr zur Familie des Freundes
Seit jenen Märztagen 2011 verging kein Tag, ohne dass ich an Abdul Latif dachte. Mit ihm sprach. Grübelte, warum ich leben durfte und er nicht. Warum hatte ich den tödlichen Wunsch geäußert, nach Brega zu fahren?
Fast schmerzhaft empfand ich den Frühling. Jener April 2011 war der prachtvollste Frühlingsmonat, an den ich mich erinnern konnte. Fast explosionsartig blühte und grünte alles auf. Apfel- und Kirschbäume entfalteten zur gleichen Zeit ihre duftende Blütenpracht. Als wollte der April dem Mai wenigstens einmal den Rang des schönsten Monats streitig machen.
Ich ging in jenen Wochen täglich an die Isar. Vorbei am Wohntempel Saif Al-Arab Gaddafis, der sich in diesen Tagen angeblich im Palast seines Vaters in Tripolis aufhielt.
Auf einem schattigen Trampelpfad entlang der Isar entfloh ich für ein paar Stunden dem Lärm der Großstadt. Alles war von paradiesischer Schönheit. Der moosgrüne Fluss funkelte und blitzte wie ein großer Diamant. Der Rausch des machtvoll ausgebrochenen Frühlings hatte auch die Isar-Enten erfasst. Wie in Ekstase tauchten und tanzten sie. Flügelschlagend drehten sie fröhliche Pirouetten und Kapriolen auf dem Wasser.
Je idyllischer sich die Natur präsentierte, desto heftiger wurde mir die Tragödie Abdul Latifs bewusst. Gehörte dieser Lenz mit all seiner Pracht und Fröhlichkeit nicht auch ihm? Könnten wir jetzt nicht gemeinsam durch den Frühling von Bengasi oder München streifen?
Nachts fiel ich in einen bleiernen Schlaf. Von Julia wusste ich, dass sie nachts kaum schlief und Panikattacken hatte. Erst im Morgengrauen nickte
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