Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Stunden hat die »Achtstundenfahrt« von Damaskus nach Bagdad gedauert. Auch ich bin ziemlich fertig.
Im Hotel verständigt mich die Rezeption, dass aus Damaskus eine Irakerin namens Manal angerufen habe. Sie werde abends noch einmal anrufen. Ich erschrecke. Hoffentlich ist Manal nichts passiert.
Manal
Manal ist eine 28-jährige Schiitin aus Bagdad. Sie lebt als Flüchtling in Damaskus. Ihre Geschichte ist symbolhaft für das Schicksal des gesamten irakischen Volkes.
Im Winter 2004 stürmten GI ’s ihr Haus. Gefesselt, mit schwarzen Säcken über dem Kopf, wurden sie und ihre Mutter ins Flughafengefängnis Bagdad geflogen. Die Amerikaner warfen beiden vor, sie seien Terroristen. Als die Vorwürfe in sich zusammenfielen, wurden die Verhörmethoden verschärft. Manal wurde nachts mit dröhnender Musik beschallt und mit eiskaltem Wasser begossen. Betrunkene GI ’s drohten, man werde sie vergewaltigen, falls sie nicht gestehe.
Eines Abends wurde sie in einen Raum gebracht, in dem ein leerer Tisch stand. Ein weinender, nackter junger Iraker wurde hereingezerrt und mit dem Oberkörper auf den Tisch gepresst. Mit einem Fußtritt wurden seine Beine gespreizt. Dann wurde er von einem Amerikaner ausgiebig vergewaltigt. Verzweifelt versuchte Manal, zu Boden zu schauen. Doch ihr Kopf wurde immer wieder hochgerissen. In ihrer Zelle wurden ihr zur Strafe für ihren Widerstand die langen schwarzen Haare abgeschnitten. Sie waren ihr ganzer Stolz.
Am nächsten Tag drohten die US -Wärter, falls sie weiter störrisch bleibe, werde ihre Mutter erschossen. Da Manal nichts zu gestehen hatte, stülpte man ihr wieder einen Sack über den Kopf. Dann peitschte ein Schuss durch den Nebenraum. Seelenruhig erklärten die GI ’s, der Schuss habe ihrer Mutter gegolten. Manal brach zusammen. Am nächsten Tag spielten die GI ’s das gleiche Folterspiel mit ihrer Mutter.
Nach 33 Tagen wurde Manal nachts auf einer unbefahrenen Straße aus dem Auto geworfen. Zu Fuß schlug sie sich zum nächsten Dorf durch. Ihre Mutter musste noch ein halbes Jahr in das gefürchtete Gefängnis Abu-Ghuraib.
Nach ihrer Flucht aus dem Irak lebt Manal nun mit ihrer Mutter in Dscharamana, einem ärmlichen Vorort von Damaskus. Dort haben auch Tausende irakische Christen Zuflucht gefunden. Manal hat ihre Träume nicht aufgegeben. In wenigen Tagen will die Schiitin den 29-jährigen irakischen Sunniten Hayder heiraten. Die Liebe fragt nicht nach Konfessionen. Ein Hochzeitskleid kann sich Manal nicht leisten. Die GI ’s haben bei ihrer Festnahme alle Wertgegenstände mitgenommen. Krieg heißt immer auch plündern. Überall auf der Welt. Amerikanische Soldaten im Irak machen da leider keine Ausnahme.
Vorgestern habe ich viele Stunden mit Manal und Hayder verbracht. Warum will sie mich auf einmal so dringend sprechen?
Marwa
Es ist 12 Uhr. Wenn ich mich jetzt hinlege, werde ich wahrscheinlich 20 Stunden schlafen. Doch ich will noch heute zu der inzwischen 18-jährigen Marwa, deren Schicksal ich in meinem Buch Andy und Marwa beschrieben hatte. Nach einer kalten Dusche und einer Kanne Kaffee fahre ich wieder los.
Im Schritttempo kämpft sich mein Taxi durch die Straßen Bagdads. Aus der legendären Stadt der Märchen von Tausendundeiner Nacht ist eine düstere Festung aus tausend Betonmauern, tausend Schießtürmen und tausend Checkpoints geworden. Sieben Überwachungszeppeline am Himmel von Bagdad melden jede verdächtige Bewegung an die US -Sicherheitszentralen.
Noch immer gibt es hier täglich über zehn »militärische Zwischenfälle«. Inszeniert von irakischen Widerstandskämpfern, überforderten Besatzungssoldaten, fanatisierten Milizen sowie in- und ausländischen Terroristen. Viele Iraker behaupten, bei besonders widerwärtigen Anschlägen, die gezielt ethnische und religiöse Rivalitäten schürten, hätten auch ausländische Geheimdienste und »Sicherheitsfirmen« wie Blackwater 24 ihre Hände im Spiel. Orientalische Verschwörungstheorie oder Realität schmutziger Kriege?
Marwa lebt zusammen mit ihrer Mutter und drei Geschwistern in Sabah Qusur, einem armseligen Viertel im Norden Bagdads. Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Das Transportwesen wird auch 2009 noch weitgehend über Eselskarren abgewickelt. Marwa hat 2003 als 13-Jährige bei einem US -Bombenangriff ein Bein verloren. Ihre kleine Schwester Azra war getötet worden. Ich hatte Marwa in Deutschland operieren lassen und ihr eine Prothese beschafft. Voller Hoffnung war sie
Weitere Kostenlose Bücher