Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
stieg die Zahl meiner Kritiker nach dem Gespräch mit Assad weiter an. Einer von ihnen war Rafik Schami. Ich zitiere ihn, um zu zeigen, auf welchem Niveau die Auseinandersetzung stattfand und bis heute stattfindet Er war nicht einmal der schärfste Kritiker. Manche verfassten einfach Morddrohungen.
In der taz nannte Rafik Schami Peter Scholl-Latour und mich »reaktionäre alte Herren«. Wir »verleumdeten mit unserer von Rassismus und Falschheit getränkten Berichterstattung Tote und Lebende, um den Diktator zu decken«, und spielten »eine widerliche Rolle«.
Da ich kein Wort Arabisch spräche, sei ich ein »Lügner« wie Marco Polo, der auch kein Arabisch oder Persisch gesprochen habe. Den syrischen Marxisten Al-Khayyer, der bis 2005 in den Kerkern der Assads saß und trotzdem in Syrien blieb, um für eine friedliche demokratische Lösung einzutreten, nannte er einen »verblödeten Marxisten«.
Es schmerze ihn, dass er uns nicht »ausreichend anklagen könne – wegen »Vertuschung von Völkermord und wegen der Verachtung der syrischen Frauen und Männer«. 63
Wie reagiert man auf einen solch vesuvischen Ausbruch von Gift und Galle? Wie antwortet man, wenn ein Mann, der seit 40 Jahren nicht mehr in Syrien war, einen Syrer, der trotz 14 Jahren Kerkerhaft weiter vor Ort für Demokratie kämpft, einen »verblödeten Marxisten« nennt?
Ich bat Rafik Schami schriftlich um ein Gespräch. Er lehnte ab. »Nach all dem, was geschehen sei, sei es zu spät.« Julia bemühte sich ebenfalls um eine Aussprache. Auch diese verweigerte er. Stattdessen teilte er ihr ein für alle Mal mit, dass er nicht ihr Onkel und sie nicht seine Nichte sei. Er habe nur die Schwester ihres Vaters geheiratet. Sie sei daher überhaupt nicht mit ihm verwandt.
Alle meine Besuche in Syrien seien »mit dem syrischen Geheimdienst abgesprochen« worden, schrieb er, »die ganzen Lügen mit Kontrollen und der Angst vor einer Verhaftung für das deutsche Publikum erfunden« worden. Ich sei »verlogen, armselig, schleimig und feige«.
Wer für Verhandlungen mit dem Feind eintritt, muss immer mit dem Vorwurf rechnen, er unterstütze ihn und verharmlose seine Schandtaten. Das wusste ich. Als Willy Brandt mit der sowjetischen Führung verhandelte, galt er bei seinen Gegnern sofort als Vaterlandsverräter und Diktatorenfreund.
Ich gestehe, dass ich manchmal ähnlich dachte. Mir wollte nicht einleuchten, dass man mit Diktatoren so freundlich umgehen konnte, wie Brandt das tat. Aber hätte er mit Unfreundlichkeit mehr erreicht? Heute weiß ich, dass Brandt recht hatte.
Mein Verhältnis zu Diktatoren war trotzdem immer distanziert. Ich habe viel mehr Zeit meines Lebens mit Rebellen verbracht. Mit den Kämpfern der algerischen FLN , den afghanischen Mudschaheddin, den Widerstandskämpfern des Irak, den Rebellen Libyens, Syriens und anderer Länder. Ich war selbst oft Rebell. Wenn auch sicher sanfter als die Rebellen unserer Zeit.
Mit Diktatoren habe ich fast nur schlechte Erfahrungen gemacht. Mit den Herrschern der Sowjetunion, die nach meinem Marsch durch Afghanistan verkünden ließen, man werde mich erschießen lassen.
Auch mit Augusto Pinochet. Monatelang griffen mich westliche Politiker an, weil ich gewagt hatte, mit dem Diktator über die Freilassung politischer Gefangener zu verhandeln. Gleichzeitig musste ich Pinochet immer drängendere Briefe schreiben, weil er die Einlösung seines Versprechens, alle Gefangenen freizulassen, ständig hinauszögerte.
Südafrikas Apartheid-Präsident Balthazar Johannes Vorster wäre nach unserem persönlichen Gespräch und meiner warnenden Stellungnahme gegen die Apartheid nie auf die Idee gekommen, ich sei sein Freund. Obwohl ich für Verhandlungen mit seiner Regierung eintrat.
Mit Gaddafi konnte ich nie sprechen. Er empfing uns mit Raketen. Trotzdem hätte ich auch gerne mit ihm gesprochen, um ihn zu Verhandlungen zu drängen. 30000 bis 50000 Tote in einem Land mit maximal sechs Millionen Einwohnern, welch ein Irrsinn! Doch welcher Befürworter »humanitärer Kriege« verbringt deshalb schon schlaflose Nächte?
59 Siehe UNHCR ( http://www.unhcr.org/pages/49e486a76.html ) und UNRWA (http://www.unrwa.org/etemplate.php?id=55)
60 Zu dieser Einschätzung gelangt mittlerweile auch der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger in einem Interview, siehe hier: http://www.youtube.com/watch?v=2gqyAaC4gng
61 Vgl. http://in.reuters.com/article/2012/02/04/syria-idINDEE8120CO20120204 ,
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