Du sollst nicht töten!: Plädoyer für eine gewaltfreie Ernährung (German Edition)
Hausschweineber Anton zum Beispiel musste erfahren, wie es ist, in einer Mastanlage eingepfercht und im Dämmerlicht in 100 Tagen auf 100 kg zu kommen; dazu wurde er ohne Narkose kastriert, und es wurden ihm die Zähne wegen der gegenseitigen Verletzungsgefahr in diesem Leid herausgebrochen. Aber Anton hatte gleich zweimal „Schwein“. Zuerst kaufte ihn jemand als Glücksgeschenk für ein Hochzeitspaar frei. Dort hätte er als Spanferkel enden sollen. Das Hochzeitspaar aber wollte sein Geschenk nicht essen und suchte einen Lebensplatz für ihn.
Nach seiner Ankunft hier gab es einige Anfangsschwierigkeiten. Anton wusste nicht, wie man wühlt und suhlt. Er verstand die Signale der anderen Schweinchen nicht, wurde von ihnen gebissen, konnte kaum gehen und bekam gleich einen starken Sonnenbrand. Nach kurzer Zeit aber führte ihn seine innere Weisheit wieder zurück zu dem für ihn notwendigen Verhaltensrepertoire seiner wilden Vorfahren. Als „freier Rigibürger“ zieht er nun über die Alp, und wenn er sich unter einem Baum eine bequeme Erdmulde zur Rast schafft, kann man sein glückliches Grunzen hören – für mich immer wieder ein Geschenk.
Ein ehemaliger Jäger lebte im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie mehrere Monate lang mit Wildschweinen und hat dabei 32 verschiedene Lautäußerungen ausmachen können, die er dann zuordnete und verstand. Ein bisschen geht es mir nun auch mit Anton so. In seiner Gegenwart sind mir aber auch all die Millionen anderer Schweine präsent, die es nicht so gut getroffen haben wie er. Auf dem Auto unseres Stifters ist die Aufschrift zu lesen: „Im Kanton Luzern leben mehr Schweine als Menschen. Warum sieht man sie nie?“ Ja, man sieht sie nie. Der Grund dafür ist in der Verfassung des menschlichen Geistes zu finden, die auch Blindheit und Egozentrik zulässt. Wer anderen Lebewesen das Dasein derart zur Hölle machen kann, muss diese Dunkelheit ja zuvor im eigenen Herzen tragen. Und so hält Anton in mir diesen sehnlichen Wunsch auch immer wieder neu wach: Mögen alle, wirklich alle! Wesen glücklich sein!
Der Minischweineber Francis wurde in Ebikon gefunden. Bis heute weiß man nicht, wem er gehörte. Er trug durch den Angriff eines Hundes schwere Verletzungen davon, und noch heute sind tiefe Narben auf seinem Rücken zu sehen. Nach längerer Pflege-und Erholungszeit zog er zutraulich mit mir über die Alp – sogar im Partnerlook, denn sein schwarz-weißes Haarkleid ähnelt sehr meinem Ordensgewand. Diese gemeinsamen Wanderungen fanden in einer ganz eigenen Harmonie statt – für mich im Gewahrsein einer Ebene, auf der sich eine klar gezogene Mensch-Tier-Grenze in tief erfahrener Gemeinschaft auflöste. Als dann später seine Gefährtin und die Jungen kamen, wurden unsere Alpwanderungen selten, die Verbundenheit aber ist geblieben. Noch heute nimmt Francis manchmal mit einer unglaublichen Sanftheit meine Hand zwischen seine großen Eberzähne, und ein einziges Vertrauen trägt uns beide.
Nicht lange nach Francis Genesung traf Clärchen hier ein, ein erst vier Monate altes Minischweinmädchen mit schwarzem, krausem Haarkleid. Francis war als geselliges Wesen hell begeistert über diesen Zuwachs, und da mir nicht klar war, wie schnell Schweinchen erwachsen sind, meldete sich bald weiterer Zuwachs an. So war der Rat erfahrener Schweinchenbetreuer notwendig, wie dieses Pärchen rund um die bevorstehende Geburt zu unterstützen wäre. Ganz verschiedene Ansichten kamen da zutage, angefangen mit der Trennung der beiden, damit Clärchen Ruhe habe und die Jungen nicht gefährdet seien, bis hin zu gar keiner Einmischung. Dass das Muttertier rund eine Woche vor der Geburt ein Nest bauen würde, meinten aber übereinstimmend alle Ratgeber. Freiraum und Nestbaumaterial hatte Clärchen im Überfluss, aber sie machte keinerlei Anstalten, damit zu beginnen. Im Bericht des schon erwähnten Forschers, der einige Zeit mit den Wildschweinen gelebt hatte, waren Beispiele angeführt, wo hochträchtige Sauen kein Nest gebaut und dann eine Fehlgeburt hatten oder starben. Der Forscher vermutete, dass die Tiere ein Gespür dafür hatten, wenn etwas nicht in Ordnung war.
Am Abend vor der Geburt begann dann zu meiner großen Überraschung Francis mit dem Nestbau. Am nächsten Morgen lag Clärchen mit sechs Jungen im Nest und Francis an ihrer Seite. Diese Erfahrung und so manche andere Beobachtung weicht sehr die Konzepte auf, mit denen wir die Wirklichkeit der Tiere einzufangen versuchen und sie
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