Du und ich und all die Jahre (German Edition)
Julian gedacht?»
«Ich war nur spazieren.»
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19. Kapitel
30. Dezember 2011
Auf dem ganzen Weg zurück zum Hotel kämpfe ich mit mir. Ein Teil von mir, ein großer Teil von mir, wahrscheinlich gute fünfundsiebzig Prozent, will sofort mit dem Taxi umdrehen. Ich will an der Straßenecke, an der ich eingestiegen bin, wieder aus dem Taxi springen und hinter Aidan herlaufen – bevor er im U-Bahn-Schacht und aus meinem Leben verschwinden kann. Genau wie im Film.
Aber der rationale Teil von mir flüstert: «Das ist doch lächerlich. Und selbst wenn du ihn wie durch ein Wunder noch erwischst, was dann? Wie geht es dann weiter? Fährst du dann mit ihm zu seiner Wohnung? Schläfst du mit ihm, während dein Mann am anderen Ende der Stadt auf dich wartet?»
Allein der Gedanke macht mich krank. Ich könnte das niemals tun, sosehr ich mir vielleicht auch wünsche, mit Aidan zusammen zu sein, ganz egal, was er mir bedeutet. So gefühllos bin ich nicht. Ich müsste dabei die ganze Zeit an Dom denken. Wie er im Hotelzimmer sitzt und auf die Uhr schaut, darauf wartet, dass die Frau, die er liebt, zu ihm zurückkommt. Nur schnell ins Hotel, in Sicherheit. Das Taxi soll Gas geben. Warum steht der Fahrer nicht auf der Hupe wie jeder andere seiner New Yorker Kollegen?
Als wir endlich ankommen, springe ich aus dem Wagen und laufe die Stufen zur Lobby hinauf. Ich drücke den Knopf und warte ungeduldig auf den Aufzug. Es gibt nur einen Lift, was für ein Hotel dieser Größe wirklich lächerlich ist. Das Ding braucht eine Ewigkeit!
Oben im Hotelzimmer sitzt Dom auf dem Sofa und starrt besorgt zur Tür.
«Da bist du ja», sagt er mit diesem typischen verärgerten Unterton. «Wie lange dauert es denn bitte, ein Kleid zu kaufen, um Himmels willen? Wir sind in einer halben Stunde mit Karl verabredet.»
Und schon wünschte ich mir, ich wäre doch zu Aidan zurückgerannt.
«Tut mir leid», sage ich dennoch, obwohl das absolut nicht stimmt. «Ich habe Jahre gebraucht, bis ich ein freies Taxi gefunden hatte, und der Verkehr war einfach ein Albtraum. Außerdem weißt du ja, wie schwer ich mich beim Shoppen immer entscheiden kann.» Er geht mir auf die Nerven, weil er so gereizt reagiert. Das ist natürlich unglaublich unfair von mir – schließlich belüge ich ihn gerade nach Strich und Faden. «Aber ich habe ein tolles Kleid gefunden», sage ich und hebe meine Einkaufstüte in die Höhe. «Möchtest du es sehen?»
Dom zuckt mit den Achseln. «Armani?», fragt er, als er die Tüte sieht. «Sind wir jetzt komplett verarmt?»
Ich seufze. «Herrgott, Dom, du bist wirklich fest entschlossen, alles hier zu hassen, oder? Vielleicht wärst du nicht so mies gelaunt, wenn du nicht den ganzen Tag eingepfercht in diesem Hotelzimmer verbracht hättest. Ernsthaft, bist du deshalb nach New York gekommen? Du hast das Hotel seit unserer Ankunft noch nicht einmal verlassen!»
«Ich bin in New York, weil du hierherwolltest und ich bei dir sein will», sagt er. «Das will ich immer. Nur ist das nicht ganz einfach, wenn du ständig flüchtest.»
Ich dusche, ziehe mich um, und wir hetzen nach unten in die Lobby, um ein Taxi nach Tribeca zu nehmen, wo wir uns mit Karl treffen wollen. Wir streiten nicht offen, es herrscht aber auch nicht gerade eitel Sonnenschein. Unser Ziel ist die Macao Trading Company, die in der Lounge Bar hervorragende Cocktails serviert. Sagt Karl zumindest.
Dom meckert zwar während der gesamten Fahrt, aber am Ende haben wir nur zehn Minuten Verspätung. Wir gehen runter in einen schummrig beleuchteten Raum mit hohen Decken, der an einer Seite von einem langen Tresen mit vielen Kerzen flankiert wird. Darüber befinden sich sechs oder sieben Regale voller glitzernder Flaschen. Ich entdecke Karl sofort, und mir kommen die Tränen. Er sieht wundervoll aus. Sein Körper ist noch immer Sportstudio-gestählt, und er hat genau wie früher den perfekten Teint. Neu ist nur der Bart à la George Michael. Dazu kunstvoll manikürte Fingernägel, was ihn in Kombination mit den ergrauten Schläfen sehr distinguiert wirken lässt. Er sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Hocker am Ende der Bar und liest den New Yorker .
«Hallo!», rufe ich ihm zu, er schaut auf und grinst.
«Nicole!» Er springt von seinem Stuhl auf, womit er die anderen Gäste erschreckt. Mir ein paar großen Schritten ist er bei mir, packt mich, hebt mich hoch und wirbelt mich im Kreis herum. Dabei drückt er mich so fest, dass
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