Du und ich und all die Jahre (German Edition)
ich kaum Luft bekomme. «Oh Nicole, Nicole! Es tut so gut, dich zu sehen, was bin ich froh, dass du hier bist.» Auch ihm stehen Tränen in den Augen. Er setzt mich wieder ab, küsst mich auf beide Wangen und umarmt anschließend Dom mit fast genauso viel Enthusiasmus wie mich.
Wir überlegen, welche Cocktails wir nehmen sollen. Ich entscheide mich für den Westside. Lemon-Wodka und frischer Limonensaft, gemixt mit Sodawasser. Karl nimmt den tuntigen Bellini, der aus pürierten Pfirsichen, Campari und Prosecco besteht. Dom, mehr Kerl, will einen Once Daily: Rum mit Bourbon und Ingwerlikör auf Eis mit einem Spritzer Fernet Branca.
«Was zum Teufel ist Fernet Branca?», erkundige ich mich.
«Keine Ahnung», sagt Dom und probiert einen Schluck von seinem Drink, «aber er ist köstlich.»
Wir setzen uns an einen Tisch in der Ecke, umgeben von verschiedenen Chinoiserien: Vasen und Puppen, verblichene Bilder hübscher chinesischer Mädchen und dazu alte Discokugeln, bei deren Anblick ich sofort anfangen könnte zu tanzen. Karl fragt, wie es uns so geht, und wir erzählen von Weihnachten und tauschen Geschichten über die Arbeit aus. Karls Galerie, die sich nicht weit entfernt von hier befindet, läuft trotz der Wirtschaftskrise recht gut, sagt er.
«Ihr solltet morgen vor der Party mal vorbeischauen oder am Tag drauf, egal, wann auch immer – bei uns läuft gerade eine großartige Franco-B-Ausstellung …» Dom und ich schauen ihn verständnislos an.
«Ein wunderbarer italienischer Künstler. Er ist Maler, aber er macht auch Performances, Installationen, solche Sachen halt. Sehr interessant.» Wir nicken pflichtschuldig, und Karl lacht. «Banausen!», ruft er. «Wie lange wollt ihr eigentlich bleiben?»
«Nur bis Montag.»
«Okay, bis dahin müsst ihr auf jeden Fall auch noch ins MoMA …»
«MoMA?», fragt Dom.
«Museum of Modern Art, Dom, das weiß ja sogar ich.»
«Okay, weitere Vorschläge: am Rockefeller Center Schlittschuh laufen und natürlich aufs Dach des Rock rauf, ist besser als das Empire State Building, das man aber von dort aus wirklich gut sehen kann. Ansonsten müsst ihr bei Momofuku Dim Sum essen – die sind zum Umfallen lecker –, und ihr solltet über die High Line spazieren …»
«Die High Line?», fragt Dom nach. Karls Antwort entgeht mir, weil ich natürlich an vorhin denken muss. Ich spüre wieder Aidans Lippen auf meinen, und mir dreht sich der Magen um.
«Alles okay, Nic?», fragt Dom. «Ist dir heiß? Du siehst auf einmal so rot aus.»
Ich gehe in die Damentoilette und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht. Dann fische ich mein Handy aus der Handtasche und schaue auf die Anrufliste. Kein Aidan. Ich habe ihm ja klipp und klar gesagt, dass wir uns für immer verabschieden müssen. Warum bin ich dann jetzt so enttäuscht, dass ich keine Nachricht von ihm habe? Ich frische mein Make-up auf und gehe zurück zum Tisch. Dom steht an der Bar, um eine neue Runde zu bestellen.
Als ich mich setze, nimmt Karl meine Hand und lächelt mich an.
«Du siehst gut aus», sagt er. «Richtig gut.»
«Du auch», antworte ich und streichle über sein Wange. «Ich mag den Bart.»
Er lacht. «Nicht meine Idee …»
«Ach nein?», frage ich und ziehe eine Augenbraue hoch.
«Nein, ein Freund hat mir das vorgeschlagen, er dachte, der Bart würde mir stehen.»
«Ein Freund also, ja? Und wer ist dieser Freund?»
Dom setzt sich und reicht uns die Getränke.
«Ich wollte eh mit dir über ihn reden, über uns. Noch vor der Party, bevor wir es … ähm … na ja, offiziell bekanntgeben. Du solltest es zuerst erfahren.»
«Und was für Neuigkeiten sind das?», fragt Dom. Ich bemühe mich, das beklemmende Gefühl zu unterdrücken, das mich plötzlich befällt.
«Ich heirate!», verkündet Karl und will mit uns anstoßen.
«Herrgott, das ist ja großartig!», stottert Dom und lässt sein Glas gegen Karls Champagnerflöte klirren. «Glückwunsch! Das ist phantastisch, Karl! Wer ist der Glückliche?»
«Er heißt Sean und ist einfach großartig. Ihr werdet ihn bestimmt mögen …»
«Und wann findet das große Ereignis statt? Heiratet ihr hier in New York?», fragt Dom.
«Da sind wir uns noch nicht ganz sicher. Als Sean mich zum ersten Mal gefragt hat, war das gar nicht möglich gewesen, weil es hier noch nicht legal war. Also dachten wir an Vermont. Vielleicht sogar Deutschland, weil es da auch eine eingetragene Lebenspartnerschaft gibt, aber jetzt überlegen wir natürlich noch mal
Weitere Kostenlose Bücher