Du und ich und all die Jahre (German Edition)
anfühlt.» Sein Tonfall ist giftig. «Warst du bei Aidan?»
Ein Stück weiter befindet sich eine rote Plastikmarkise, die Schutz vor dem Schnee bietet. Ich stelle mich dort unter und warte darauf, dass Dom mitkommt, aber er bewegt sich nicht, er steht nur da, seine Frage hängt noch in der Luft.
«Ich habe Alex besucht», sage ich. «Wir haben erst geredet, dann sind wir in eine Bar bei ihr um die Ecke gegangen. Von dort aus bin ich direkt zurück zu dir ins Hotel gefahren.» Dom lässt die Schultern sinken, und ich kann seine Erleichterung spüren. Das macht es für mich noch tausendmal schlimmer. «Aber ich habe Aidan gesehen. Heute. Ich bin ihm vor seinem Büro über den Weg gelaufen …»
«Du bist ihm über den Weg gelaufen?», fragt er ungläubig. «Für wie blöd hältst du mich eigentlich, Nicole? Du bist ihm über den Weg gelaufen …» Er lacht freudlos.
«Das ist die Wahrheit, ich schwöre es! Ich war in der Nähe seines Büros shoppen und habe ihn auf der Straße entdeckt.»
«Und dann was? Was? Hast du den ganzen Nachmittag mit ihm verbracht? Hast du mit ihm geschlafen?»
«Nein! Gott, Dom, natürlich nicht. Das würde ich niemals tun. Glaub mir bitte. Wir sind nur herumgelaufen …»
«Weißt du was?», unterbricht er mich. «Erzähl es mir einfach nicht. Ich will es gar nicht wissen! Ich muss mir deinen Mist nicht anhören. Mir reicht es jetzt nämlich. Das muss aufhören. Entscheide dich gefälligst zwischen einem Leben mit mir und einem Leben mit … denen. All den anderen. Aidan, Alex, Julians Geist … dein altes Leben. Ich gehe jetzt zurück ins Hotel, und morgen nehme ich den ersten Flug zurück nach London. Falls du auch nur das geringste Interesse daran hast, diese Ehe zu retten, kannst du mich begleiten. Wenn nicht, also … Ich habe alles versucht, Nicole.»
Ich stehe einen Augenblick lang nur da, unter meiner traurigen kleinen roten Plastikmarkise, und brauche eine Zigarette. Hätte ich Dom nur nichts von Aidan erzählt und wie ein normaler Mensch auf Karls Hochzeit reagiert! Oh Gott, können wir die Uhr nicht zurückdrehen auf heute Morgen? Noch mal Sex und dann Frühstück im Bett?
Jetzt muss ich eine Entscheidung treffen: Soll ich hinter Dominic herlaufen und ihn bitten nicht abzureisen? Ihn anflehen, noch ein paar Tage hierzubleiben und wie geplant zur Party zu gehen, am Rockefeller Center Schlittschuh zu laufen und in der Met Cocktails zu trinken? Oder mache ich mich erst auf die Suche nach Karl und entschuldige mich für mein Benehmen?
Ich entscheide mich für Karl. Also gehe ich zurück ins Macao, aber unser Tisch ist leer. Zehn Minuten lang suche ich die ganze Bar nach ihm ab – er ist offenbar schon gegangen. Wieder draußen auf dem Bürgersteig rufe ich ihn an.
«Nicole?»
«Es tut mir so leid, Karl, es tut mir so leid!»
«Schon okay, ich …»
«Nein, das war nicht okay, ich weiß nicht, was mich geritten hat.»
«Bist du im Hotel?»
«Nein, ich stehe vor der Bar.»
«Komm zu mir nach Hause. Ich wohne ganz in der Nähe. Ist nur drei Ecken weiter. Warren Street, Hausnummer vierunddreißig. Apartment sieben. Okay?»
«Ich bin gleich da.»
Zehn Minuten später stehe ich vor Karls Wohnung und fühle mich wie ein Idiot. Ich klingele, dann nehme ich den Aufzug in den vierten Stock. Oben angekommen begrüßt er mich auf der Türschwelle und umarmt mich, als hätte er mich seit Jahren nicht gesehen. So, als wäre gerade gar nichts passiert.
«Bitte verzeih mir, Karl, ich war nur so überrascht …»
«Nicht so wichtig.»
«Doch, ist es, ich komme mir unglaublich blöd vor.»
«Ach was.»
«Ich möchte wirklich, dass du glücklich bist. Ich freue mich sogar!»
«Das weiß ich», versichert er. «Also herein mit dir, ich möchte dir Sean vorstellen.»
«Oh Gott, er ist hier? Karl …» Ich schäme mich in Grund und Boden, kann aber schlecht schon wieder abhauen, also bleibt mir keine andere Wahl.
Für New York ist die Wohnung riesig. Hinter der Eingangstür befindet sich ein eleganter Flur, dahinter ein Wohnzimmer mit deckenhohen Fenstern zur Straße hin.
An den Wänden hängen große, farbenfrohe Bilder, von denen ich einige als Karls eigene erkenne. Links über dem offenen Kamin befindet sich ein schlichtes Schwarzweißfoto, Jungs, die in weißer Kleidung auf einer staubigen Straße Fußball spielen. Julian hat es gemacht.
Karl nimmt mir die Jacke ab. Während er sie im Flurschrank aufhängt, kommt ein schlanker, grauhaariger Mann in Jeans, einem
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