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Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Titel: Du und ich und all die Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Silver
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nicht, aber warum soll ich ihm das jetzt an den Kopf werfen?
    «Ich bereue so vieles, Nicole, so vieles.»
    «Schon okay, Dad.» Ich drücke seine Hand. «Dann müssen wir es halt in Zukunft besser machen, okay? Wir werden einfach mehr Zeit zusammen verbringen.»
    «Ja, ganz genau.» Er schweigt eine ganze Weile, und ich will gerade wieder aufstehen, da schaut er mich ganz betroffen an. «Er ist gestorben, oder?»
    «Wer, Dad?»
    «Dein Freund Julian. Er ist doch tot. Du hast mir damals geschrieben, und ich habe dir nicht geantwortet.»
    Ich beiße mir auf die Lippe. «Ja, vor ein paar Jahren.»
    «Du hast mir geschrieben, und ich wollte dir wirklich antworten, aber ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte.»
    «Schon okay, Dad.»
    «Geht es dir wirklich gut, Nicole?»
    «Ich sollte jetzt gehen, Dad. Du musst schlafen.»
    Angst flackert in seinem Blick auf, nur ganz kurz, und er hält meine Hand fester. «Geh wieder da raus, Mädchen. Gib dich nicht einfach so mit allem zufrieden. Mach es nicht wie ich.» Er hustet wieder, diesmal länger, und ringt nach Atem.
    «Dad …», fange ich an, aber er bringt mich mit einer Geste zum Schweigen.
    «Und denk dran: Es ist immer später, als man denkt.» Er drückt meine Hand. «Geh jetzt, Liebling. Ich werde schlafen.»
    Ich geh raus in den hellen Korridor, über mir summen die Neonröhren, in deren Licht alle gelblich blass aussehen – Dom, Mom und mein Onkel Chris. Sie sitzen in einer Reihe im Wartezimmer. Charles hat etwas weiter weg allein Platz genommen. Plötzlich sehe ich ihn wieder vor zwanzig Jahren vor mir – auch im Wartezimmer damals, nachdem mein Dad meine Mom geschlagen hat.
    «Alles klar, Nic?», fragt Dom noch, und Onkel Chris küsst mich zur Begrüßung. Dann höre ich, wie sich das unregelmäßige Piepen des Herzmonitors im Zimmer meines Dads plötzlich in einen gleichmäßigen, durchgehenden Ton verwandelt.
    Wie aus dem Nichts erscheint eine Krankenschwester, macht Licht in seinem Zimmer und drückt einen Knopf. Das hat nicht viel mit Emergency Room zu tun. Kein Auflauf gutaussehender Ärzte, niemand, der nach dem Defibrillator schreit. Tatsächlich kommt sogar ziemlich schnell ein Arzt, und sie versuchen meinen Dad mit ein paar Stromstößen wiederzubeleben, einmal, zweimal, dreimal. Dann bekommt er noch Adrenalin und eine Beatmung. Ich stehe vor der Tür. Onkel Chris hat den Arm um mich gelegt, Dom hält meine Hand. Ich weiß nicht, wie lange es so weitergeht, aber schließlich kommt die Krankenschwester raus. Sie sagt, ich solle jetzt hineingehen und mich verabschieden. Natürlich ist es dafür zu spät – er ist tot. Trotzdem stellen Chris und ich uns neben Dads Bett. Chris drückt ihm noch einmal die Hand, ich küsse seine Stirn. Dann hocken wir wieder im Wartezimmer, weil wohl noch Formulare auszufüllen sind.
    Kurz nach drei Uhr morgens sitzen wir im Auto. Onkel Chris schlägt vor, dass wir bei Dad übernachten, damit wir noch ein bisschen Schlaf bekommen, bevor wir morgen früh zurück nach London fahren. Aber der Gedanke an die traurige kahle Wohnung ist zu viel für mich.
    Dom erklärt sich bereit zu fahren. Er will, dass ich mich hinten auf den Rücksitz lege und schlafe, bis wir zu Hause sind. Doch ich habe Angst, er könne am Steuer einnicken und setze mich nach vorn zu ihm. Wir machen wieder Smalltalk, der allerdings diesmal eine morbide Note hat: Es geht um die Beerdigung, darum, was aus Dads kleiner Wohnung werden soll, solche Sachen eben.
    Als wir zurück nach Wimbledon kommen, wird es schon hell. Wir sind so erschöpft, das wir fast high sind und seltsam guter Stimmung. Ein einzelner Strahl der Wintersonne scheint auf unser Haus zu fallen und nur auf unseres. Ich bin überglücklich, wieder da zu sein.
    Dom will uns noch einen Tee machen, aber als er damit nach oben kommt, bin ich fast eingeschlafen. Er legt sich auch ins Bett und kuschelt sich an mich.
    «Ich liebe dich, Nic.»
    «Ich liebe dich auch.»

    Als ich aufwache, ist er weg. Ich drehe mich auf die Seite und schaue auf mein Handy. Gerade zwei Uhr nachmittags, und ich habe einen versäumten Anruf. Aidan. Er hat es bei mir am frühen Morgen probiert, also ungefähr gegen Mitternacht seiner Zeit. Er hat keine Nachricht hinterlassen.

    Nach dem Aufstehen gehe ich sofort unter die Dusche, schließe die Augen und lehne mich mit der Stirn gegen die sandfarbenen Kacheln. Dann lasse ich das warme Wasser auf mich niederregnen. Mein Vater ist tot. Ich werde ihn nie wiedersehen.

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