Du und ich und all die Jahre (German Edition)
verbringen willst.»
«Aber so war es doch, Dom. Genau das wollte ich.»
«Nein, Nicole, das stimmt nicht. Julian war wie ein Bruder für dich. Und damit hattest du gerade eines deiner wichtigsten Familienmitglieder verloren. Plötzlich bekamst du Angst, panische Angst. Was, wenn nun auch deiner Mom etwas passiert wäre? Dann wärst du vollkommen allein gewesen. Eine neue Familie musste her, nur für den Fall, dass noch mal etwas Schreckliches passiert. Und ich habe das gewusst. Ich wusste, dass du mich aus den falschen Gründen heiratest. Trotzdem habe ich es zugelassen, weil ich dich so sehr wollte.»
Ich schlinge die Arme um seine Beine und drücke mich an sie.
«Damals war ich der Meinung, dass du eines Tages so weit sein wirst. Dass sich deine Gefühle für mich ändern und du Aidan vergessen würdest. Dass du mich auf die gleiche Art lieben könntest wie ich dich.» Seine Stimme klingt heiser, Dom streichelt mir übers Haar, und ich beginne zu schluchzen. «Doch das ist nicht passiert. Und das ist nicht deine Schuld, du kannst nichts dafür. Aber wenn wir so weitermachen, wenn ich dich jetzt nicht loslasse, tun wir uns am Ende nur furchtbar weh – noch viel mehr als ohnehin schon.»
«Bitte nicht, Dom, sag mir nicht, dass es aus ist. Ich ertrage das jetzt nicht.»
«Ich weiß. Ich wollte dir damit lediglich erklären, dass es nicht deine Schuld ist.»
Er hat recht damit, dass ich ihn aus den falschen Gründen geheiratet habe. Aber die Entscheidung, bei ihm zu bleiben, habe ich aus den richtigen Gründen getroffen. Vor zwei Jahren habe ich deshalb eine Münze geworfen. Sollte ich für meine Ehe kämpfen oder mich trennen? Damals fiel Kopf: Scheidung, Auszug, auf Wiedersehen. Und ich wusste sofort, dass ich genau das nicht machen würde. Ich zerriss die erste Liste mit Neujahrsvorsätzen und blieb bei der zweiten. Danach habe ich wirklich mein Bestes getan, um zu vergessen und zu verzeihen. Das taten wir alle beide. Aber es hat nicht gereicht.
Wir legen uns hin, eng umschlungen in der Dunkelheit, schweigen, schauen dem Schneetreiben zu, lauschen den Geräuschen der Stadt, die niemals schläft, warten auf den Morgen, auf den neuen Tag. Was immer er auch bringen mag.
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22. Kapitel
Silvester 2011
Malvern
Neujahrsvorsätze:
Falls ich noch die Gelegenheit dazu bekomme: die Beziehung zu meinem Vater in Ordnung bringen
Nach dem ersten fallen mir keine weiteren Vorsätze mehr ein. Ja, es kommt mir sogar falsch vor, noch mehr aufzuschreiben.
Der Flug klappt so perfekt, wie man es sich nur wünschen kann – solange ich lebe, wird nie mehr ein böses Wort über British Airways über meine Lippen kommen. Die Stewardessen zeigen Mitgefühl und bringen uns in der Business Class unter, damit wir etwas Schlaf bekommen, dann helfen sie uns, in Heathrow möglichst schnell abgefertigt zu werden – sogar unsere Koffer landen zuerst auf dem Band in der Gepäckabholung. Kurz nach neun Uhr abends sitzen wir bereits im Auto. Dom lässt mich hinters Steuer und ruft meine Mom an, um zu hören, ob es Neuigkeiten gibt.
«Okay … okay …», sagt er mehrfach. Also ist Dad noch am Leben. «Wir sollten in … lass mich überlegen … ungefähr zwei Stunden da sein. Vielleicht sogar früher. Du kennst ja Nics Fahrstil.» Ich lächle ihn an, und er drückt mein Knie. «Dann bis nachher. Ach, Elizabeth, ist denn bei dir alles in Ordnung? Schön. Ja, schön.» Er legt auf. «Wir müssen nach Malvern. Er konnte noch nicht verlegt werden», erklärt er dann.
«Was hat sie gesagt?»
«Die Operation ist gut verlaufen, aber sein Zustand ist immer noch kritisch.» Dom drückt wieder mein Knie. «Tut mir leid, Nic. Offenbar hatte er einen sehr schlimmen Infarkt, und der Herzmuskel ist dabei schwer geschädigt worden.»
«Heißt das, er stirbt?» Ich habe plötzlich einen Kloß im Hals.
«Ich weiß es nicht, Nic. Aber du solltest …»
«Mit dem Schlimmsten rechnen? Das sagt man doch so. Aber wie bitte schön macht man das? Ich habe damit keinerlei Erfahrungen. Beim letzten Mal hatte ich keinen Vorlauf.»
Ich lasse eine Hand am Steuer und wische mit der anderen über meine Augen. Ich bin so erschöpft, dass ich den toten Punkt längst überwunden habe und jetzt sozusagen auf Autopilot laufe. Höchstwahrscheinlich dürfte ich gar nicht fahren, aber was sollte ich im Moment sonst tun? Dom ist genauso fertig. Business Class hin oder her, geschlafen haben wir im Flugzeug beide kaum. Ich muss nur noch
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