Du und ich und all die Jahre (German Edition)
an.
«Nic, was ist passiert?», fragt sie.
So frühe Anrufe bedeuten immer schlechte Nachrichten.
«Nichts», antworte ich. «Entschuldige. Ich steh mit dem Wagen vor der Tür. Kannst du rauskommen? Ich muss mit dir reden.»
«Hattest du Streit mit Dom?»
«Nein, das ist es nicht.»
«Wir müssen nicht im Auto sitzen. Komm rein.»
«Ich will Charles nicht aufwecken.»
«Der hat zwei extrastarke Schmerztabletten mit einer Dreiviertelflasche Rotwein runtergespült, bevor er gestern Abend ins Bett gegangen ist. Der wird nicht mal wach, wenn das Haus einstürzt.»
Wir sitzen in der Küche und trinken Kaffee aus Plastikbechern. Mom nimmt ein paar Schlucke und verzieht das Gesicht. «Der ist ja ekelhaft. Ich mach uns mal einen richtigen Kaffee.» Man könnte meinen, dass dreißig Jahre in öffentlichen Krankenhäusern meine Mutter gegen miesen Kaffee immun gemacht hätten, aber weit gefehlt. Sie will noch immer das gute Zeug.
«Du siehst klasse aus, Mom», sage ich und meine es ehrlich. Sie ist braun gebrannt und schlank – strotzt vor Gesundheit.
«Und du siehst müde aus», antwortet sie.
«Danke.»
«Tut mir leid, aber so ist es nun mal. Und da du morgens um sechs vor meiner Tür stehst, nehme ich an, du leidest wieder an Schlafstörungen.» Ich nicke. «Irgendetwas Spezielles, worüber du dir Sorgen machst?»
Ich hole tief Luft. «Ja, Mom. Es geht um Dad.»
Sie lehnt sich zurück, nimmt meine Hand und schaut besorgt. «Er hat sich bei dir gemeldet, vermute ich? War er gemein zu dir?»
«Nein, das ist es nicht. Er ist krank, Mom. Krebs.
Mom sagt nichts, steht auf und geht hinüber zur Küchenzeile, um uns Kaffee einzugießen. Es duftet wunderbar, und ich bin plötzlich unglaublich erleichtert, wieder bei meiner Mom in der Küche zu sitzen. Als sie schließlich den Becher vor mir auf den Tisch stellt, muss ich weinen. Sie sitzt neben mir, hat die Arme um mich geschlungen und streichelt mein Haar. «Es tut mir leid, Liebling. Es tut mir so leid.»
«Es ist einfach lächerlich», schniefe ich. «Das sollte mich nicht so aufregen. Ich kenne den Mann fast gar nicht. Seit er uns verlassen hat, habe ich ihn kaum gesehen.»
«Er ist dein Vater», erwidert sie. «Natürlich nimmt dich das mit. Und nicht er hat uns verlassen, weißt du. Ich habe ihn rausgeschmissen. Er hatte dabei keinerlei Mitspracherecht. Ich weiß nicht, ob er diese Demütigung jemals verkraftet hat.»
Geräuschvoll putze ich mir die Nase. «Also, er will dich sehen. Ich habe ihn besucht, und er fragte mich, ob … er fragte, ob ich mit dir reden würde. Ich glaube, er will … ach, keine Ahnung. Wer weiß, ob er sich überhaupt entschuldigen will. Er könnte dich genauso gut wieder blöd anmachen …»
Mom nippt nachdenklich an ihrem Kaffee.
«Was möchtest du denn?», fragt sie. «Willst du, dass ich hingehe?»
«Nein! Ich meine … ich will nicht, dass du dich nur meinetwegen mit ihm triffst … obwohl du das gar nicht möchtest.»
«Vielleicht könnten wir ihn gemeinsam besuchen. Wenn du zurück bist?»
«Ich glaube, er macht sich Sorgen, dass er die Operation nicht übersteht.»
«Welche Art von Krebs ist es?»
«Prostata. Anscheinend ist er noch nicht so weit fortgeschritten, aber er muss unters Messer und …»
«Das ist eine einfache OP, Nic, glaub mir. Da stehen die Chancen auf Heilung wirklich sehr gut. Darüber hinaus kennst du doch deinen Vater – er ist nicht gerade der optimistische Typ mit dem halbvollen Glas, oder?»
«Das stimmt.»
«Es ist völlig okay für mich, ihn zu besuchen, aber ich würde es gern mit dir gemeinsam tun.»
«Das ist großartig, Mom, vielen Dank!»
Wir trinken noch einen Kaffee, und sie fragt nach New York.
«Freust du dich auf Karl?»
«Ich kann es kaum erwarten.»
«Wie lange ist es her, seit du ihn zuletzt gesehen hast?»
«Gott … eine Ewigkeit. Bei meiner Hochzeit, glaube ich. Danach nicht mehr.»
«Und wie geht es Dominic?» Es liegt eine leichte Schärfe in ihrer Stimme. Vor nicht allzu langer Zeit hat sie mich noch gefragt: «Wie geht es meinem wundervollen Schwiegersohn?», oder: «Wie geht es dem hinreißenden Dom?» Jetzt aber heißt es: «Wie geht’s Dominic?», und es klingt eher nach Höflichkeit als nach wirklichem Interesse.
Meine Mutter ist ein liebenswerter und nachsichtiger Mensch, aber wenn jemand mich verletzt, dann kann sie ungnädig werden, aber hallo!
Der Himmel färbt sich langsam von Schwarz zu Grau. Es ist drei Minuten vor sieben. Zeit zu
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