Du und ich und all die Jahre (German Edition)
neuen Jahr weiter darüber.
Beste Grüße,
Paul
Ich klicke wütend auf die Antworttaste.
Hey, Paul,
ich hatte sehr schöne Weihnachtstage, vielen Dank.
Was Betrug betrifft, finde ich deinen Vorschlag, die drei gegeneinander auszuspielen, schlicht abstoßend. Du kannst dein stinkendes Programm nehmen und es dir in den Arsch schieben.
Mit freundlichen Grüßen,
Nicole
Ich bewege den Cursor zum Sende-Button und lasse ihn dort einen Augenblick ruhen. Dann klicke ich stattdessen auf «Entwurf löschen». Wenn ich nur mehr Mut hätte! Früher war das mal anders, da bin ich sicher. Die alte Nicole hätte so einem Idioten ausführlich erklärt, was er sie mal kann.
Die alte Nicole hätte noch nicht einmal in Erwägung gezogen, ein solches Projekt zu übernehmen. Die hatte Prinzipien, denen sie treu blieb, auch wenn sie damit alles auf eine Karte setzte. Die alte Nicole hatte ihrem Chef freundlich mitgeteilt, er solle sich ins Knie ficken. Und zwar laut und deutlich, sodass alle im Büro es hören konnten.
Das war im Sommer 2002. Ich arbeitete noch für Breakthrough, die Produktionsfirma, die mir dank Simon Carver zu meinem ersten großen Durchbruch verholfen hatte. Der Mann, den ich in dieser furchtbaren Nacht in Paris auf dem Boot kennengelernt hatte.
Wir machten Überstunden, nur ich und Joanne, meine Produktionsassistentin und Mädchen für alles. Wir beide waren dafür zuständig, eine Reise ins indische Gujarat zu organisieren. Die Firma produzierte einen Film über die Gewalt zwischen Muslimen und Hindus in der Region.
Wir mussten die Flugtickets buchen, Autos mieten, Fahrer und Dolmetscher finden – so was alles. Wie immer bekamen wir die Aufgabe in letzter Minute zugeteilt, und uns lief die Zeit davon.
Wir fragten uns gerade, ob wir uns nicht eine Pizza auf Spesen verdient hatten, als der betrunkene Simon mit vom Alkohol gerötetem Gesicht ins Büro gestürmt kam. Er war ein paar Stunden im Pub gewesen, wo er sich das WM-Spiel England gegen Schweden angesehen hatte.
«Verdammte Versager», brüllte er, als er durch die Tür kam. «Jeder Einzelne von denen.»
Jo und ich wechselten amüsierte Blicke.
«Kein gutes Spiel?», fragte sie.
«Penner. Ein Haufen überbezahlter, überschätzter Wichser. Bringst du mir einen Drink, Jo? In der Küche steht noch eine Flasche Chenin Blanc kalt.»
Es war immer Wein im Kühlschrank, Scotch im Schrank, Wodka im Gefrierfach … Simon funktionierte am besten, wenn er betrunken war.
Behauptete er jedenfalls. Von meinem Schreibtisch aus, der in der Mitte des großen Büros unter einer Reihe von Fernsehmonitoren stand, beobachtete ich, wie Jo (zierlich, blond, feminine Kurven) Simon ein Glas Wein ins Büro brachte. Er hockte zusammengesunken hinter seinem Schreibtisch, das Kinn auf die Hände gestützt, und starrte auf den Monitor seines PCs. Direkt in meinem Blickfeld. Ich beobachtete, wie Jo den Wein auf dem Schreibtisch neben seinem Ellbogen abstellte. Und wie Simon ihr dann scheinbar nebenbei an den Hintern grabschte. Wütend stieß sie seine Hand weg. Simon stand auf und drückte sie hart gegen den Schreibtisch, sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Ich konnte nicht hören, was er zu ihr sagte. Jo befreite sich und rannte aus seinem Büro.
Am nächsten Tag begleitete ich Jo zu Gerry Masters, dem Chef der Firma, um formell Beschwerde einzulegen. Er hörte uns zu, nickte ernsthaft und bekundete Verständnis. Dann erklärte er uns, Simon habe ihn schon darauf angesprochen und sich entschuldigt. Er sei auch bereit, sich bei Joanne zu entschuldigen, und damit müsse es dann gut sein. Weitere disziplinarische Maßnahmen sollte es nicht geben.
Jo und ich waren dermaßen baff, dass wir nicht einmal protestierten. Stattdessen verließen wir das Büro und gingen zum Mittagessen in den Pub.
«Simon und Gerry sind schon auf dieselbe Schule gegangen. Und im Studium haben sie zusammen gewohnt», erzählte Jo. «Ich hätte wissen müssen, dass ich da nichts erreichen kann mit meiner Beschwerde.»
«Scheiß Männerclub», schimpfte ich und stürzte meinen Gin Tonic hinunter. «Du wirst ihn wohl verklagen müssen.»
Jo wirkte verunsichert. «Das kann ich mir nicht leisten, Nic. Selbst wenn ich gewinnen sollte, so eine Sache … na ja, die sieht nicht gerade toll im Lebenslauf aus, oder?»
«Du könntest wenigstens damit drohen», schlug ich vor. Vielleicht würde Gerry dann etwas wegen Simon unternehmen.
«Das könnte klappen», stimmte Jo zu,
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