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Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Titel: Du und ich und all die Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Silver
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gehen. Ich gebe Mom an der Haustür einen Abschiedskuss.
    «Ich wünsch dir eine tolle Reise, Liebes», sagt sie. «Oh, und übrigens, wenn du mit Charles sprichst, dann erwähn die Sache mit deinem Vater nicht. Also, dass ich ihn besuchen will, meine ich. Er würde es nicht verstehen. Einige Dinge erzähle ich ihm einfach besser nicht.»
    Wie die Mutter, so die Tochter.

    Ich überschreite auf der Heimfahrt sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen und komme um zwanzig nach sieben zu Hause an. Dom läuft hektisch in der Küche auf und ab.
    «Um Himmels willen, Nicole», ruft er, als ich den Raum betrete. «Dein Timing ist ein bisschen knapp.»
    «Tut mir leid», erwidere ich und küsse ihn im Vorbeirauschen. «Ich wollte noch zu Mom. Ich kann nicht fliegen, ohne sie vorher zu sehen.»
    «Ist schon okay, aber beeil dich! Wir müssen in fünf Minuten los.»
    Ich dusche, ziehe mich an und küsse die Hunde zum Abschied. Zwanzig Minuten später sind wir startklar, und während Dom sich selbst in den Wahnsinn treibt, diskutieren wir darüber, wer fährt.
    «Du fährst bestimmt zu schnell», sagt Dom. «Du fährst wie eine Verrückte, wenn du es eilig hast.»
    «Dominic, du wirst nicht schnell genug fahren. Du fährst sogar im Notfall wie eine alte Frau.»
    Ich fahre. Dom krallt sich an seinem Sicherheitsgurt fest und bremst während der ganzen Fahrt von Wimbledon nach Heathrow mit.
    Nach dem Check-in und der Sicherheitskontrolle versorgt sich Dom erst einmal mit Lesestoff. Ich sitze bei Costa Coffee und kritzle eine aktuelle Liste mit Neujahrsvorsätzen auf eine Papierserviette.
     
Alle vierzehn Tage mit Dad essen
Fünf Kilo abnehmen
Dom fragen, ob die Familienplanung nicht noch (mindestens) ein Jahr warten kann
Alles von der Shortlist für den Booker Prize lesen. Und Krieg und Frieden
Keine schlechten Sendungen mehr machen
    Als Nächstes führe ich zwei Telefonate. Das erste mit meinem Vater.
    «Wie fühlst du dich, Dad?», frage ich, als er sich meldet.
    «Als wär ich hundertdrei», antwortet er. Er klingt erschöpft.
    «Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt!»
    «Nein, nein, ich bin schon seit Stunden wach. Bauchschmerzen. Magenverstimmung, nehm ich an.»
    «Ich wollte mich nur verabschieden. Wir sind am Flughafen. Und ich wollte dir auch noch sagen, dass ich mit Mom gesprochen habe. Sie wird sich mit dir treffen … im neuen Jahr, wenn ich wieder da bin.»
    «Alles klar.» Er klingt enttäuscht.
    «Ist das in Ordnung? Sie ist nur … sie hat in den nächsten Tagen eine Menge zu tun.»
    «Verstehe.»
    «Alles wird gut, Dad. Versuch, dir nicht allzu viele Sorgen zu machen.»
    «Okay, Schatz. Ich wünsche dir eine schöne Reise.»
    «Danke.»
    «Gut, dann … vielen Dank, dass du mit deiner Mom gesprochen hast.»
    «Hab ich gerne gemacht.»
    «Ich liebe dich, Nicole.»
    Diese Worte klingen seltsam aus seinem Mund. Ich kann mich nicht erinnern, wann er mir zuletzt gesagt hat, dass er mich liebt. Ich begreife, wie viel Angst er haben muss. Mir schnürt sich die Kehle zu, und ich bekomme kein Wort heraus, weil ich sonst gleich wieder heule.
    «Nicole?»
    «Ich liebe dich auch, Dad. Es wird alles gut. Wir sehen uns nächste Woche.»

    Der zweite Anruf gilt Annie Gardner. Ich bekomme ihre Mailbox dran und hinterlasse eine Nachricht:
    «Annie, Nicole Blake hier. Das klingt jetzt ein wenig seltsam, aber ich rufe an, um Ihnen zu raten, nicht in die Sendung zu gehen. Ich weiß natürlich, dass ich Ihnen bei unserem Gespräch noch genau das Gegenteil erzählt habe. Allerdings bekomme ich allmählich das Gefühl, dass die Sendung Ihnen nicht helfen wird. Man wird Sie nicht gerade ins beste Licht rücken, und ich fürchte wirklich, dass eine Teilnahme Ihnen mehr schaden als nützen würde. Und das will ich nicht. Sollten Sie sich dennoch entscheiden, dort aufzutreten, möchte ich Ihnen noch sagen, dass ich nicht mehr für das Format arbeite. Falls Sie noch irgendwelche Fragen haben, dann rufen Sie mich gern an. Ich bin für ein paar Tage unterwegs, aber per Handy erreichbar und checke meine Mails. Alles Gute und frohes neues Jahr. Tschüs!»
    Ich lege auf und empfinde nichts als überwältigende Erleichterung – als wäre mir eine tonnenschwere Last von den Schultern genommen worden. Mit diesem Anruf habe ich Vertragsbruch begangen, und die Produktionsfirma ist berechtigt, mein Gehalt zurückzufordern. Sie könnten mich sogar verklagen, obwohl ich nicht glaube, dass sie sich den Stress machen werden. Natürlich ist mein Ruf

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