Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist
Du solltest dich nicht über ihn lustig machen.»
«Das tue ich nicht», sagte meine Mutter.«Aber, James, das alles sind kulturelle Werke - Bücher und Filme -, es ist leicht, so etwas zu mögen. Es ist leicht, die Kunst zu mögen. Wichtig ist aber, dass man das Leben mag. Jedermann kann die Sixtinische Kapelle mögen.»
«Ich hasse die Sixtinische Kapelle», sagte ich.«Ich hasse den Gedanken, dass Michelangelo sein Talent verschwenden und sich der römisch-katholischen Kirche beugen musste.»
«Auch gut - dann hasse die Sixtinische Kapelle eben. Aber du musst doch etwas Wirkliches mögen.»
«Findest du, Bücher sind nichts Wirkliches?»
«Du weißt genau, was ich meine - etwas, das nicht erdacht wurde. Etwas, das einfach da ist.»
«Ich würde die alte Penn Station mögen, aber die ist ja nicht mehr da.»
«Gut, und was ist mit Grand Central? Die Grand Central Station ist wunderbar, und dank Jacqueline Kennedy Onassis ist sie auch noch da.»
«Na ja, ich mag Grand Central. Aber dort kann man nicht wohnen.»
«Natürlich kann man dort nicht wohnen! Du bist also erst dann glücklich, wenn du in der Grand Central Station wohnst? Das verheißt nichts Gutes, mein Schatz.»
Ich antwortete nicht. Ich wusste, dass meine Mutter recht hatte, aber das änderte nichts daran, wie ich die Dinge empfand. Die Leute glauben immer, wenn sie einem beweisen können, dass sie recht haben, würde man seine Meinung ändern.
Wir gingen eine Weile schweigend weiter, dann fragte meine Mutter:«Was gibt’s Neues von deinem Vater?»
Ich überlegte, ob ich ihr von der freiwilligen kosmetischen Operation meines Vaters erzählen sollte, was sie sicher amüsiert hätte, doch ich entschied mich dagegen. Gillian und ich sind der einzige Weg, auf dem meine Eltern etwas übereinander erfahren, aber nachdem meine Mutter mich dafür abgekanzelt hatte, dass ich ihr eheliches Debakel preisgegeben hatte, sah ich keinen Grund zur Kooperation. Also sagte ich:«Nichts.»
«Fährst du dieses Wochenende raus nach East Hampton?», fragte sie.
«Ich glaube nicht», sagte ich.«Ich denke, ich werde morgen Nanette besuchen.»
Nanette ist meine Großmutter: die Mutter meiner Mutter. Sie wohnt in Hartsdale, und von allen Menschen ist sie wahrscheinlich diejenige, die ich am liebsten habe. Wir nennen sie Nanette, weil sie der Ansicht ist, das klinge vornehmer als Grandma oder Nana, und in den Siebzigern war sie außerdem die Zweitbesetzung (ich glaube, für Debbie Reynolds, aber ich bin mir nicht sicher) in einer Neuaufführung des Musicals No, No, Nanette . Sie hat auch viele Jahre lang an einer Quizshow im Fernsehen mit dem Titel You Don’t Say teilgenommen. Jeden Tag musste sie ein anderes Kleid tragen, die ihr alle von irgend so einem Kaufhaus zur Verfügung gestellt wurden. Oft bezeichnet sie sich selbst als«Kitty Carlisle Hart des armen Mannes».
«Tu mir einen Gefallen», fuhr meine Mutter fort.«Erzähl Nanette nichts von Barry und mir. Sie wird es noch früh genug herausfinden, und ich hätte gern ein paar friedliche, ruhige Tage, bevor sie mir ihre Vorhaltungen macht.»
«Und wenn sie mich fragt?»
«Wenn sie dich was fragt?»
«Wie es dir und Mr. Rogers geht?»
«Sie wird dich nicht fragen. Du weißt, dass sie nie nach mir fragt. Sie denkt nicht mal an mich.»
«Und wenn sie doch fragt, was soll ich sagen? Willst du, dass ich lüge?»
«Glaub mir, James», sagte meine Mutter.«Sie wird dich nicht fragen.»
Später an jenem Abend saß ich mit Miró auf der Couch im Wohnzimmer und versuchte, das Kreuzworträtsel der New York Times zu lösen, das meine Mutter zu drei Vierteln fertig gemacht hatte, aber nachdem es Freitag war und der Rest des Rätsels im Grunde unlösbar, kam ich nicht recht voran. Meine Mutter war schlafen gegangen. Etwa um elf kamen Gillian und Herr Schultz zurück, die sich irgend so einen dämlichen Film angesehen hatten. Ich begreife einfach nicht, wie angeblich intelligente Menschen - sagen wir mal, ein Professor an der Columbia University - hingehen und sich einen Film wie Fluch der Karibik anschauen können. Gillian ging in die Küche und kam mit einer Flasche Peroni für sich selbst und einer koffeinfreien Diät-Cola für Rainer Maria zurück.«Willst du auch ein Bier?», fragte Gillian mich, aber sie wartete mit der Frage, bis sie wieder im Wohnzimmer war und sich hingesetzt hatte, was hieß, dass ich nein sagen sollte.
Was ich auch tat (Ich sagte, nein).
Gillian trank einen Schluck.
«Wie war der
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