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Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist

Titel: Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cameron Stefanie Kremer
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kleines Notizbuch bei sich und schrieb von den Schildern an den Wänden die Informationen ab, die Auskunft über jedes Werk gaben.
    Nr. 21. Aluminium, Papier, Fundsachen, zerschlissenes Kaninchenfell, Klebstoff, Filzstift, Bienenwachs, Menschenhaar. 61 cm x 76 cm.
    Nach einer Weile schlenderte sie zum Empfangstisch herüber, mit einer unglaublichen Nonchalance, als würde sie einfach irgendwo entlanggehen, und der Tisch stünde rein zufällig auf ihrem Weg.
    «Oh», sagte sie,«hallo.»
    Ich sagte, hallo.
    «Gibt es einen Katalog?», fragte sie.
    Ich sagte, es gebe keinen.
    «Es gibt keinen Katalog?»
    «Stimmt», sagte ich,«es gibt keinen Katalog.»
    «Warum gibt es keinen Katalog?»
    «Der Künstler hält nichts von Katalogen. Er glaubt, die Arbeit sollte für sich selbst sprechen.»
    «Oh», sagte sie.«Wie niedlich: Die Mülleimer sprechen für sich selbst.»
    «Genau», sagte ich.
    «Sprechen Sie zu Ihnen?»
    Ich musste natürlich ja sagen. Genau so etwas passiert, wenn man sich auf gewisse Berufe einlässt: Man ist gezwungen zu verkünden, dass Mülleimer zu einem sprechen.
    «Was sagen sie denn?», fragte sie.
    «Nun», sagte ich, um Zeit zu gewinnen.«Da jeder ein Kunstwerk für sich ist, sagt auch jeder etwas anderes.»
    «Was sagt der hier?»Sie zeigte auf einen Mülleimer.
    Als läge es nur zu deutlich auf der Hand, sagte ich wie aus der Pistole geschossen:«Er sagt, alles ist Müll. Insbesondere die Kunst. Und wenn die Kunst Müll ist, dann natürlich auch alles andere. Selbst die Dinge, die wir für heilig erachten, sind Müll. Alles endet im Müll. Nichts Dingliches besitzt einen Wert. Die Religion ist obszön.»
    Sie trat einen Schritt vom Tisch zurück, als wäre ich wirklich so geistesgestört, wie ich klang.«Das ist eine ziemlich lange Rede für einen einzigen Mülleimer», sagte sie.
    «Es ist ein überaus ausdrucksstarkes Werk», sagte ich.
    «Nun», sagte sie,«das gibt mir ja eine Menge zu denken. Ich bin Janice Orlofsky. Ich schreibe für die Artforum .»Sie streckte mir die Hand entgegen.
    Ich schüttelte sie und sagte:«Ich heiße Bryce Canyon.»
    «Sie interessieren sich leidenschaftlich für die Kunst, nicht wahr, Bryce?»
    «Sieht so aus», sagte ich.
    In diesem Augenblick erschien meine Mutter in einem ganz besonders wunderlichen Aufzug: Sonnenbrille, ein Overall, der über und über mit Reißverschlüssen und Taschen besetzt war, und neue Schuhe, die genau genommen aus nichts weiter bestanden als aus ein paar Lederriemen über extrem hohen Pfennigabsätzen. Sie wirkte irgendwie ganz unbeholfen, denn sie konnte weder gehen noch sehen, und sie stolperte blindlings durch die Galerie, wobei sie unterwegs gegen ein paar Mülleimer stieß. Sie ging grußlos an uns vorbei und verschwand in ihrem Büro.
    Ich versuchte, mir einen Witz auszudenken, so was wie«Was bekommt man, wenn man Helen Keller mit einem magersüchtigen Jagdflieger kreuzt?», aber noch bevor ich das konnte, sagte Janice:«War das Marjorie Dunfour?»
    Mein erster Impuls war, nein zu sagen, denn ich war mir sicher, dass meine Mutter, wenn sie denn eine richtige Galeriebesitzerin wäre, Janice Orlofsky von der Artforum erkannt hätte und stehen geblieben wäre und mit ihr geplaudert hätte, aber alles, was an diesem Vormittag geschehen war - oder eigentlich alles, was in den vergangenen vierundzwanzig Stunden geschehen war (oder alles, was je in meinem Leben geschehen war) -, hatte mich so durcheinandergebracht, dass ich beschloss, es wäre vielleicht einfacher, die Wahrheit zu sagen, also sagte ich, ja.
    Janice machte ihr kleines Notizbuch auf und schrieb etwas hinein (höchstwahrscheinlich etwas Gemeines und Vernichtendes über meine Mutter), und dann steckte sie es in ihre Handtasche, eine Hogan’s Heroes -Lunchbox etwa aus dem Jahr 1970. Dann drehte sie sich um und ging hinaus, wobei sie unterwegs etwas in einen der Mülleimer warf. (Eine Quittung von Duane Reade für eine Enthaarungscreme. Und sie besprach die Ausstellung tatsächlich in der Artforum [Jahrgang XLII, Nr. 2]:«Namenloser Künstler, verschiedene Materialien. Galerie Dunfour & Partner, 16. Juli bis 31. August 2003. Wann ist Müll einfach nur Müll? Wenn er stinkt .»)
     
    An jenem Nachmittag bei Dr. Adler versuchte ich, einen Weg zu finden, über das zu sprechen, was sich am Abend zuvor mit John ereignet hatte, und während ich mich noch bemühte, meine Gedanken zu ordnen, die sich anscheinend nicht ordnen lassen wollten, sagte Dr. Adler:«Wissen Sie, wir

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