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Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist

Titel: Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cameron Stefanie Kremer
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haben noch nie über den 11. September gesprochen.»
    Das war total verrückt und brachte mich ganz aus dem Konzept. Wie ich ja schon erwähnt habe, sagte Dr. Adler im Verlauf unserer Sitzungen nur wenig, und sie schlug nur selten ein Thema vor oder fing einen Wortwechsel an. Ich schaute sie an, um zu sehen, ob sie auf irgendeine Weise eingestehen würde, wie untypisch sie sich verhielt, aber natürlich tat sie das nicht, sie lächelte mich bloß mit ihrem üblichen, nichtssagenden Lächeln an und nickte mir leicht zu, um mir zu bedeuten, dass sie auf meine Antwort wartete.
    «Es gibt eine Menge Tage, über die wir noch nicht gesprochen haben.»
    Sie schwieg, und als klar wurde, dass ich weiter nichts sagen würde, fragte sie:«Möchten Sie lieber nicht über den 11. September sprechen?»
    «Ich nehme an, Sie meinen den 11. September 2001», sagte ich.
    «Ja», sagte sie.«Den meine ich.»
    Ich sagte:«Ich frage mich, wie lange die Leute wohl gebraucht haben, um den 6. Dezember den ‹Tag von Pearl Harbor› zu nennen. Oder haben sie das sofort gemacht? War es gleich am Tag darauf oder in der Woche darauf, dass die Leute gesagt haben: Wo warst du am Tag von Pearl Harbor?, anstatt, Wo warst du am 6. Dezember?»
    «Ich glaube, Pearl Harbor war am 7. Dezember.»Als sie das sagte, lächelte sie boshaft, außerstande, ihre Freude darüber, dass sie mich verbessert hatte, zu verbergen.
    «Wann auch immer», sagte ich.
    «Nun gut», sagte sie,«wie möchten Sie den 11. September denn gern nennen, wenn Sie darüber sprechen?»
    «Ich möchte am liebsten gar nicht darüber sprechen.»
    «Wieso?»
    «Es erscheint mir nicht ganz fair, erklären zu müssen, weshalb ich nicht über etwas sprechen möchte, mit dem Sie angefangen haben und von dem ich nur gesagt habe, dass ich nicht darüber sprechen möchte.»
    Sie schwieg auf ihre Hör-mit-den-Dummheiten-auf-ichwerde-dich-nicht-ermutigen-Art. Ignoriere ihn einfach, dann geht er schon weg , pflegte meine Mutter Gillian zu raten, als wir noch klein waren und ich Gillian ärgerte. Ignoriere ihn einfach. Er will nur beachtet werden. Im Rückblick scheint darin etwas geradezu Grausames zu liegen - das Verlangen eines Menschen - und besonders eines Kindes - nach Aufmerksamkeit gleichzeitig zu erkennen und abzuweisen. Er will nur beachtet werden , als wäre es schlimm, wenn man beachtet werden will, als wollte man Geld oder Macht oder Ruhm. Vielleicht ist das ja der Grund, weshalb ich es heute vorziehe, nicht beachtet zu werden; ich habe einen irreversiblen Knacks bekommen. Natürlich bin ich mir sicher, dass ich nicht nur einen irreversiblen Knacks bekommen habe. Mir kam der Gedanke, dass die Therapie einen vergeblichen Versuch darstellt, jeden irreversiblen Knacks, den wir bekommen haben, wieder zu kitten; es ist wie das aussichtslose Bemühen, ein riesiges Knäuel unentwirrbarer Knoten zu entwirren.
    «Ich habe wirklich nichts zum 11. September zu sagen», meinte ich.
    «Gar nichts?»
    «Richtig», sagte ich.«Es geht mir wirklich auf die Nerven, wie die Leute darüber sprechen, jeder erzählt, wo er war, was er gesehen hat, wen er gekannt hat, als hätte irgendetwas davon eine Bedeutung. Oder dass die Leute in Ohio psychologische Hilfe erhalten haben, ganz als wäre es ihnen passiert.»
    «Glauben Sie denn nicht, dass das, was geschehen ist, die Leute bewegt hat?»
    «Ja, gut, mag sein, dass es sie bewegt hat, aber sie waren nicht in einem der Flugzeuge und sie sind nicht aus den Türmen gesprungen, und deshalb denke ich, sie sollten einfach die Klappe halten und nicht darüber reden.»
    «Da komme ich nicht ganz mit», sagte sie.
    «Auch gut», sagte ich,«dann lassen Sie es bleiben.»
    «Aber ich würde Ihren Gedankengang gern verstehen. Ihre Denkweise. Sie waren auf der Stuyvesant High School, nicht wahr?»
    «Sie wissen doch genau, dass ich auf der Stuyvesant war.»
    «Ja, aber manchmal stellen die Menschen eine Frage, auf die sie die Antwort schon wissen, James. Das ist eine gesellschaftlich anerkannte Verhaltensweise.»
    «Ich wünschte nur, Sie würden mich das fragen, was Sie mich wirklich fragen wollen, anstatt zu versuchen, mich aufs Glatteis zu führen.»
    «Aufs Glatteis führen - das ist ein interessanter Ausdruck.»
    «Mir ist wirklich nicht klar, inwiefern ein Ausdruck interessanter sein sollte als ein anderer.»
    Sie schwieg einen Moment lang und sagte dann:«Sie waren auf der Stuyvesant High School. Die Stuyvesant High School liegt direkt neben Ground Zero. Daher

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