Du wirst sein nächstes Opfer sein: Thriller (Knaur TB) (German Edition)
wie die Timberland-Trekking-Stiefel an seinen Füßen.
Durch das Dickicht folgte er dem Signal, während seine Schritte im unberührten Schnee knirschten. Obwohl es noch Nachmittag war, drang nur wenig Licht vom verhangenen Himmel durch die Kiefernzweige.
Was er suchte, entdeckte er nahe der Baumspitzen in den Ästen. Zum Glück war dieser Teil des Waldes vor einiger Zeit gerodet worden, so dass die meisten Bäume kaum sieben Meter hoch waren und dichtes Astwerk hatten, an dem man leicht hinaufklettern konnte. Nach kaum fünf Minuten hatte er schon zwei Drittel des schlanken Stamms erklommen. Von dort benutzte er eine ausfahrbare Metallzange, um die schwarze Mülltüte aus der Zweigspitze zu angeln, an der sie baumelte. An der Schnur, die an der Tüte festgemacht war, waren einige verschrumpelte Luftballons aufgereiht und wackelten hin und her.
Als Tanner wieder unten war, schnitt er die Tüte mit einem kleinen Messer auf. Zufrieden stellte er fest, dass der Inhalt intakt war. Dann trug er den Fund zum Wagen zurück, verstaute ihn auf dem Rücksitz und schaute sich nach einer Stelle um, wo er wenden konnte.
Remote: Hallo, Closer.
Closer: Hallo, Remote. Ich habe mir die Datei angesehen, die Sie mir geschickt haben.
Remote: Bestimmt haben Sie einige Fragen.
Closer: Durchaus. Wenn Sie das Bewusstsein anderer lenken können, warum befehlen Sie Ihren Opfern nicht einfach, sich selbst aus dem Weg zu schaffen?
Remote: Meine Fähigkeiten haben ihre physischen Grenzen, und es gibt darüber hinaus auch rein praktische und philosophische Gesichtspunkte. Doch lassen wir die pragmatischen Aspekte für den Moment außen vor und wenden wir uns gleich den tieferen Ursachen zu. Zunächst: Finden Sie es nicht passend, dass das Übel von jenen aus der Welt geschafft wird, die davon profitieren?
Closer: Könnte man durchaus so sehen – zumindest im Fall des Anwalts. Aber ein Mechaniker? Eine Zahnärztin? Die sind unschuldig.
Remote: Kennen Sie den Satz: »Das Böse triumphiert allein dadurch, dass gute Menschen nichts unternehmen«? Diejenigen, die für Leute arbeiten, von denen sie wissen, dass sie böse sind – und wenn sie ihnen nur das Auto reparieren oder die Zähne richten –, sind stillschweigende Komplizen. Eigentlich sollten sie solche Menschen wenigstens meiden, doch indem sie das nicht tun, verlieren sie ihre Unschuld.
Closer: Was Sie dazu berechtigt, sie als Werkzeuge Ihrer Rache zu benutzen.
Remote: Rache? Nein, Closer. Das ist bei weitem nicht meine Intention. Und ich vermute, dass es auch nicht die Ihre ist. Ich handle auf einem weitaus sachlicheren Niveau. Womit wir unweigerlich wieder beim Pragmatismus wären. Meine Taten folgen der Logik. Die Welt ist ein verrückter, chaotischer Ort, und ich verringere den Wahnsinn, indem ich Gewalttäter beseitige. Wenn man die Ursache des Schmerzes beseitigt, beseitigt man dadurch auch den Schmerz. Natürlich nicht ganz, aber auf dem Gebiet kennen Sie sich besser aus als ich.
Closer: Sie halten das, was Sie tun, also für notwendig.
Remote: Meine Beweggründe sind nicht völlig frei von Eigennutz, denn ich muss zugeben, dass mir diese selbstgewählte Aufgabe Spaß macht. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass ich in unserer Gesellschaft eine notwendige Rolle übernehme. Schauen Sie Eishockey?
Closer: Ich interessiere mich nicht sehr für Mannschaftssportarten.
Remote: Ich frage, weil manche Eishockey-Spieler eine ganz ähnliche Rolle ausfüllen. In der National Hockey League findet sich in jedem Team ein solcher Spieler. Man nennt sie »Enforcer«. Das sind im Grunde nichts anderes als Schlägertypen, und ihre Aufgabe ist es, die guten Spieler der gegnerischen Mannschaft einzuschüchtern und Rache zu üben, wenn ein Kamerad des eigenen Teams angegriffen wurde. Dies ist keine offizielle Spielerposition, und es gibt keine Regeln für die Kämpfe, auf die sie sich einlassen. Gemessen an den Standards dieser Sportart, sind sie Berufsverbrecher. Und wie reagieren die Schiedsrichter darauf? Überhaupt nicht. Denn ein einziger Umstand hält sie davon ab, auch nur zu versuchen, ein solches Verhalten zu unterbinden oder zu regulieren: Die Fans wollen es nicht. Der Enforcer übernimmt eine bestimmte soziale Rolle, nach der die Gesellschaft verlangt und die sich aus Notwendigkeiten entwickelt hat. Auch wenn er nicht den Applaus eines Starspielers erhält, so erfüllt er doch seine Aufgabe. Und genau so mache ich es auch.
Jack lehnte sich zurück und betrachtete den Bildschirm. »Klar«,
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