Du zahlst den Preis fuer mein Leben
»Vergiss die Statistiken. In den Provinzen, wo die Scharia gilt, darf keine Frau ohne Jilbab das Haus verlassen.«
»Müssen auch Nichtmuslime Kopftuch tragen?«, fragte Isa.
»Nein, nur Muslime.«
»Falsch!«, rief wieder Kali dazwischen. »In der Provinz Padang im Norden von Sumatra werden immer wieder nichtmuslimische Mädchen gezwungen, den Jilbab zu tragen. Manchmal üben sogar die Lehrer Druck aus.« Kali schaute Nica provozierend an. »Steht das nicht in deinen Aufzeichnungen?«
Nica schossen die Tränen in die Augen. Warum machte Kali das?
»Mach weiter, Nica! Die Zeit läuft!« Herr Kunze zeigte auf die Uhr über der Tafel.
Nica überschlug die nächsten Abschnitte in ihrem Referat und flüchtete sich in das neutrale Gebiet der Natur. »Die Regenwälder Sumatras sind weltberühmt. Dort leben seltene, sehr gefährdete Arten: der Nashornvogel, der Sumatraelefant, der Weißhandgibbon, der Sumatratiger, das Schabrackentapir …«
Während sie sich in ihrem Referat weiter vorarbeitete und die meisten aus der Klasse mehr oder weniger interessiert lauschten, aber immerhin auch nicht mehr störten, hatte sie das Gefühl, dass Kali nur auf einen Satz von ihr wartete, bei dem er wieder dazwischengehen konnte.
Sie verstand ihn nicht. Sie war dabei, seine Heimat als faszinierendes Land darzustellen, mit Vorurteilen aufzuräumen und er pfuschte ständig mit negativen Bemerkungen dazwischen.
Außerdem machte es sie unsicher, sie versprach sich, vergaß, was sie sagen wollte, musste immer länger auf ihren Text blicken, obwohl Herr Kunze großen Wert auf freies Sprechen legte.
Als Nica bei der Hauptstadt Jakarta ankam, war es wieder so weit. »Jakarta ist eine moderne Metropole …«
»… andererseits werden auf dem Land zehnjährige Kinder an alte Männer verkauft, gegen einen Brautpreis und abgesegnet vom Imam.«
Alle drehten sich zu Kali um.
»Was?!«
»Zehnjährige? Igitt! Das ist ja Kindesmissbrauch!«
Auch Nica starrte Kali entsetzt und sehr wütend an. Jetzt war er zu weit gegangen. »Du spinnst ja. Das Heiratsalter in Indonesien ist für Mädchen sechzehn.«
Kali lachte. »Sicher doch. Offiziell ja, aber inoffiziell schert sich keiner darum. Vor allem nicht in den Provinzen, wo die Scharia Gesetz ist. Da bestimmt der Imam.«
»Scharia? Nie gehört!« Emma drehte sich zu Kali um.
»Scharia ist der Name für das islamische Rechtssystem. Es ist ein religiöses Gesetz, das den Muslimen vorschreibt, wie sie sich zu verhalten haben«, erklärte Herr Kunze. »Aber in Indonesien sind die Muslime sehr tolerant. Es ist ein moderater Islam, kein fanatischer. Außerdem ist Indonesien eine Demokratie mit einem funktionierenden Rechtssystem.«
»Aber in sechzehn Provinzen wurde die Scharia eingeführt«, sagte Kali. »Zum Beispiel in der Provinz Aceh, wo meine Familie herkommt. Ein islamischer Parteiführer in Indonesien hat gesagt, dass es normal sei, junge Mädchen mit elf oder zwölf zu verheiraten. Sogar ein muslimischer Geistlicher hat ein zwölfjähriges Mädchen zur Frau genommen und plant noch zwei weitere neun- und siebenjährige zu heiraten. Es sei normal, wenn die Eltern einverstanden sind, hat er gesagt.«
»Das sind aber sicher Ausnahmen, Kali«, unterbrach der Lehrer ihn. »Wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Wir können zusammenfassen, dass der indonesische Staat durch Gesetze dafür gesorgt hat, dass niemand gegen seinen Willen verheiratet wird, schon gar nicht Kinder.«
Kali wollte etwas sagen, schüttelte dann aber nur den Kopf und schwieg.
»Na, dann mach weiter, Nica!«
Nica war froh, dass nun die indonesische Küche dran war. Da konnte Kali unmöglich etwas Kritisches sagen.
Endlich war sie am Ende des Referates angekommen. Herr Kunze bewertete es mit einer Zwei, was Nica ärgerte, denn ohne Kalis Einwürfe wäre es sicher eine Eins geworden.
Zu Hause wartete Ibu schon gespannt auf sie. Sie war freundlich wie immer, als hätte es die gestrige Diskussion nicht gegeben. »Na, wie war dein Referat?«
»Stimmt es, dass Kinder von zehn Jahren verheiratet werden?«
Ibu zuckte zusammen. »Wer sagt denn so was?«
»Kali.«
Ibu schwieg. Nach einigem Überlegen sagte sie leise: »In Indonesien heiraten die Menschen früher. Ich war auch erst vierzehn, als ich Kalis Vater heiratete. Der Prophet Mohammed hat sogar eine Siebenjährige geheiratet.«
»Aber das war vor mehr als 1000 Jahren! Wie können Eltern heute so was tun?«
»Manchmal sind Eltern so arm, dass sie das Brautgeld
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