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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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Verletzungen an der rechten Kopfseite infolge des Sturzes. Die Verletzungen seien jedoch nicht so schwer gewesen, um bei einem gesunden Menschen den Tod zu verursachen. Seiner Ansicht nach sei der Tod höchstwahrscheinlich auf Schock und plötzliches Herzversagen zurückzuführen.
    Mr H. B. Patterson Finlay gab im Namen der Eisenbahngesellschaft seinem tiefen Bedauern über den Vorfall Ausdruck. Die Gesellschaft habe jede Vorsichtsmaßnahme getroffen, um ein Überqueren der Gleise an anderen Stellen als den dafür vorgesehenen Brücken zu verhindern, und zwar durch Aufstellen von Warnschildern in den Bahnhöfen und durch Verwendung von Torschranken an Bahnübergängen.Die Verstorbene habe häufig am späten Abend die Gleise überquert, um von einem Bahnsteig zum anderen zu gelangen, und in Anbetracht gewisser anderer Umstände des Falles könne man seiner Meinung nach dem Bahnpersonal keinen Vorwurf machen.
    Kapitän Sinico, wohnhaft in Leoville, Sydney Parade, Ehemann der Verstorbenen, sagte ebenfalls aus. Er bestätigte, dass die Verstorbene seine Ehefrau gewesen sei. Zur Zeit des Unfalls sei er nicht in Dublin gewesen, da er erst an diesem Morgen aus Rotterdam zurückgekehrt sei. Seine zweiundzwanzigjährige Ehe sei glücklich gewesen, bis seine Frau vor etwa zwei Jahren eine gewisse Unmäßigkeit in ihren Gewohnheiten entwickelt habe.
    Miss Mary Sinico sagte, ihre Mutter sei in letzter Zeit regelmäßig nachts ausgegangen, um Spirituosen zu kaufen. Sie, die Zeugin, habe öfter versucht, ihrer Mutter ins Gewissen zu reden, und habe sie bewogen, einem Abstinenzverein beizutreten. Sie sei erst eine Stunde nach dem Unglück nach Hause gekommen.
    Die Geschworenen bestätigten mit ihrem Urteil das medizinische Gutachten und sprachen Lennon von jeder Schuld frei.
    Der Stellvertretende Leichenbeschauer sagte, es handle sich um einen sehr traurigen Fall, und sprach Kapitän Sinico und seiner Tochter sein tiefes Mitgefühl aus. Er forderte die Eisenbahngesellschaft auf, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um Unfälle dieser Art künftig zu verhindern. Ein Verschulden treffe jedoch niemanden.
    Mr Duffy sah von der Zeitung auf und starrte aus seinem Fenster auf die trostlose Abendlandschaft. Der Fluss lag still neben der leeren Brennerei, und ab und zu sah man ein Licht in einem der Häuser an der Lucan Road. Was für ein Ende! Der ganze Bericht von ihrem Tod widerte ihn an,und ihn widerte der Gedanke an, dass er je mit ihr über das gesprochen hatte, was ihm heilig war. Diese fadenscheinigen Phrasen, diese dümmlichen Beileidsbekundungen, diese Umschreibungen eines Reporters, den man dazu überredet hatte, die abstoßenden Einzelheiten dieses banalen Todesfalles zu vertuschen, das alles schlug ihm auf den Magen. Nicht nur sich selbst hatte sie erniedrigt, sie hatte auch ihn erniedrigt. Er stellte sich den erbärmlichen Verlauf ihres Lasters vor, elend und übel riechend. Seine Seelenfreundin! Er musste an die Elendsgestalten denken, die er beobachtet hatte, wie sie mit Kannen und Flaschen in eine Schankwirtschaft humpelten, um sie füllen zu lassen. Gerechter Gott, was für ein Ende! Ganz offenkundig war sie nicht lebenstauglich gewesen, ohne ein Ziel vor Augen, leichtes Opfer von Gewohnheiten, eines jener Wracks, von denen sich die Zivilisation ernährt. Aber dass sie so tief sinken konnte! Sollte er sich so gründlich in ihr getäuscht haben? Er erinnerte sich an ihren Ausbruch in jener Nacht und deutete ihn nun unnachsichtiger als je zuvor. Es fiel ihm jetzt nicht mehr schwer, den von ihm eingeschlagenen Weg gutzuheißen.
    Es wurde dunkler, und als seine Gedanken in die Vergangenheit schweiften, war ihm, als berühre ihre Hand die seine. Der Schock, der ihm zunächst auf den Magen geschlagen war, griff jetzt auch seine Nerven an. Rasch zog er Mantel und Hut an und ging hinaus. Die kalte Luft traf ihn an der Haustür; sie kroch ihm in die Mantelärmel. Als er die Gastwirtschaft an der Chapelizod Bridge erreichte, ging er hinein und bestellte sich einen heißen Punsch.
    Der Wirt bediente ihn unterwürfig, wagte aber keine Unterhaltung. Fünf oder sechs Arbeiter, die in der Gastwirtschaft saßen, erörterten den Wert eines Herrensitzes in County Kildare. Ab und zu nahmen sie einen Schluck aus ihren großen Biergläsern, rauchten, spuckten häufig auf den Fußboden und schoben gelegentlich mit ihren schwerenStiefeln Sägemehl über ihr Ausgespucktes. Mr Duffy saß auf seinem Hocker und starrte sie an, ohne sie zu sehen oder zu

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