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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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wurde, nahm er alles nachdenklich wieder auseinander. Dann begann er von neuem, den Tabak nachdenklich zu rollen, und nach kurzem Überlegen entschloss er sich, das Zigarettenpapier zu befeuchten.
    – Hat Mr Tierney gesagt, wann er zurückkommt?, fragte er mit einer heiseren Fistelstimme.
    – Er hat nichts gesagt.
    Mr O’Connor steckte die Zigarette zwischen seine Lippen und fing an, in seinen Taschen zu kramen. Er zog ein Päckchen Karten aus dünner Pappe hervor.
    – Ich hol Ihnen ein Streichholz, sagte der alte Mann.
    – Schon gut, damit geht es auch, sagte Mr O’Connor.
    Er nahm eine der Karten und las, was darauf gedruckt stand:
    STADTRATSWAHL
    Stimmbezirk Royal Exchange
    Mr Richard J. Tierney, P. L. G., * bittet höflich um Stimme und Unterstützung bei der bevorstehenden Stadtratswahl im Stimmbezirk Royal Exchange
    Mr O’Connor war von Mr Tierneys Manager angeheuert worden, in einem Teil des Stimmbezirks für den Kandidaten Werbung zu machen, aber das Wetter war scheußlich und seine Schuhe ließen die Nässe durch, und deshalb verbrachte er einen großen Teil des Tages am Kaminfeuer des Sitzungszimmers in der Wicklow Street, zusammen mit Jack, dem alten Hausmeister. So saßen sie schon seit Einbruch der Dämmerung da. Es war der sechste Oktober, und draußen war es trostlos und kalt.
    Mr O’Connor riss einen Streifen von der Karte ab, hielt ihn ins Feuer und zündete sich damit die Zigarette an. Dabei fiel der Schein der Flamme auf ein dunkles, glänzendes Efeu-Blatt am Revers seines Rocks. Der alte Mann sah aufmerksam zu, nahm dann das Stück Pappe wieder zur Hand und fächelte damit langsam das Feuer an, während sein Gegenüber rauchte.
    – Ja, ja, sagte er, das Gespräch fortsetzend, man weiß nie, wie man seine Kinder erziehen soll. Wer hätte gedacht, dass er sich mal so entwickelt! Ich hab ihn zu den Christian Brothers * in die Schule geschickt und für ihn getan, wasich konnte, und jetzt treibt er sich in den Kneipen rum. Ich hab mich bemüht, etwas halbwegs Anständiges aus ihm zu machen.
    Verdrossen stellte er die Pappe zurück.
    – Ich bin jetzt ein alter Mann, sonst würd ich ihm den Marsch blasen. Ich würde den Stock nehmen und ihn windelweich schlagen, bis ich nicht mehr könnte – das hab ich oft genug getan. Seine Mutter, wissen Sie, die setzt ihm allerhand Flausen in den Kopf ...
    – So verdirbt man die Kinder, sagte Mr O’Connor.
    – Ganz recht!, sagte der Alte. Und man bekommt nichts als Undank und freche Worte. Er kommandiert mich herum, wenn er sieht, dass ich ein Gläschen getrunken habe. Was ist das für eine Welt, in der Söhne so mit ihren Vätern reden?
    – Wie alt ist er?, fragte Mr O’Connor.
    – Neunzehn, sagte der alte Mann.
    – Warum schickst du ihn nicht arbeiten?
    – Sicher, versuchen tu ich’s ja, seit dieser versoffene Lümmel runter ist von der Schule. Ich unterstütz dich nicht , sag ich. Such dir eine Arbeit. Aber hat er Arbeit, wird’s nur noch schlimmer; er versäuft alles.
    Mr O’Connor schüttelte teilnahmsvoll den Kopf, und der alte Mann starrte schweigend ins Feuer. Jemand öffnete die Tür und rief:
    – Hallo! Ist das hier eine Freimaurerversammlung * ?
    – Wer ist das?, fragte der Alte.
    – Was macht ihr da im Dunkeln?, fragte die Stimme.
    – Bist du das, Hynes?, fragte Mr O’Connor.
    – Ja. Was macht ihr da im Dunkeln?, sagte Mr Hynes und trat in den Lichtschein des Feuers.
    Er war ein großer, schlanker junger Mann mit einem hellbraunen Schnurrbart. Regentröpfchen, die jeden Augenblick herunterfallen konnten, hingen an seiner Hutkrempe,und er hatte den Kragen seines Jacketts hochgeschlagen.
    – Na, Mat, sagte er zu Mr O’Connor, wie geht’s?
    Mr O’Connor schüttelte den Kopf. Der alte Mann stand vom Kaminfeuer auf, stolperte im Raum umher und kam dann mit zwei Kerzen zurück, die er nacheinander an die Flammen hielt und dann zum Tisch trug. Ein kahler Raum wurde nun sichtbar, und das Feuer verlor seinen fröhlichen Glanz. Die Wände waren kahl, bis auf ein Wahlplakat. In der Mitte des Raums stand ein kleiner Tisch, auf dem sich Papiere stapelten.
    Mr Hynes lehnte sich an den Kaminsims und fragte:
    – Hat er dich schon bezahlt?
    – Noch nicht, sagte Mr O’Connor. Ich bete zu Gott, dass er uns heute Abend nicht im Stich lässt.
    Mr Hynes lachte.
    – Ach, er wird dich bezahlen. Keine Angst, sagte er.
    – Wenn ihm die Sache ernst ist, lässt er sich hoffentlich nicht lange bitten, sagte Mr O’Connor.
    – Und was meinst du,

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