Duddits - Dreamcatcher
Auge spannen? Heiliger Bimbam!
»Wenn ich’s kriege, dann kriege ich’s halt«, sagte er und mahnte sich dann doch, dass es nicht schaden konnte, vorsichtig zu sein; ein bisschen Vorsicht hat noch keinem geschadet, wie der alte Lamar immer gesagt hatte.
In der Hütte war der Pilz (oder Schimmel oder was es auch war) auch während der kurzen Zeitspanne, die Henry im Schuppen gewesen war, eindeutig weitergewachsen. Der Navajo-Teppich war nun vollständig davon überwuchert, und von seinem Muster war nichts mehr zu erkennen. Es wuchs auf dem Sofa, auf dem Tresen zwischen Küche und Wohnzimmer und auf der Sitzfläche zweier der drei Hocker, die auf der Wohnzimmerseite am Tresen standen. Eine Ranke aus rotgoldenem Flaum lief ein Bein des Esszimmertischs hoch, als würde sie der Spur von etwas Verschüttetem folgen, und Henry musste daran denken, wie sich Ameisen auch an der flüchtigsten Spur von verstreutem Zucker einfanden. Das Erschreckendste war vielleicht das mit rotgoldenem Flaum überzogene Spinnennetz, das über dem Navajo-Teppich hing. Henry starrte es ein paar Sekunden lang an, ehe ihm bewusst wurde, was das eigentlich war: Lamar Clarendons Traumfänger. Henry würde, dachte er, nie erfahren, was genau hier vorgefallen war, aber eines wusste er mit Sicherheit: Diesmal hatte der Traumfänger einen absoluten Albtraum eingefangen.
Du willst doch nicht im Ernst weiter hier reingehen, oder? Wo du jetzt gesehen hast, wie schnell es wächst? Jonesy sah okay aus, als er vorbeifuhr, aber er war nicht okay, das weißt du doch. Du hast es gespürt. Und deshalb … willst du da doch nicht reingehen, oder?
»Doch«, sagte Henry. Die doppelte Maske bewegte sich beim Sprechen auf und ab. »Wenn es mich packt … tja, dann muss ich mich halt umbringen.«
Henry lachte wie Stubb in Moby Dick und ging weiter in die Hütte hinein.
4
Mit einer Ausnahme wuchs der Pilz als dünnes, sich hier und da verdickendes Geflecht. Diese Ausnahme befand sich vor der offen stehenden Badezimmertür, wo es einen richtigen Hügel davon gab, der dicht verflochten im Türrahmen hochwuchs und ihn bis zu einer Höhe von mindestens ein Meter zwanzig auch bedeckte. Diese hügelförmige Wucherung schien auf einem gräulichen, schwammigen Nährboden zu wachsen. Auf der Seite zum Wohnzimmer hin spaltete sich das graue Zeug V-förmig, was Henry auf unangenehme Weise an gespreizte Beine erinnerte. Als wäre dort jemand vor der Tür gestorben und der Pilz hätte die Leiche überwuchert. Henry fühlte sich an einen Sonderdruck aus seinem Medizinstudium erinnert, einen Artikel, den er einmal überflogen hatte, als er nach etwas ganz anderem gesucht hatte. Darin war unter anderem auch ein schauriges Obduktionsbild abgedruckt, das er nie mehr vergessen hatte. Darauf war ein im Wald abgeladenes Mordopfer zu sehen. Die nackte Leiche hatte man schätzungsweise vier Tage nach dem Mord entdeckt. Pilze wuchsen ihr im Nacken, in den Falten der Kniekehlen und zwischen den Pobacken.
Nach vier Tagen, ja. Aber hier war an diesem Morgen noch alles sauber gewesen, und …
Henry schaute auf seine Armbanduhr und sah, dass sie um zwanzig vor zwölf stehen geblieben war. Es war jetzt ganz genau irgendwann Eastern Standard Time.
Er drehte sich um und spähte aus der Tür, weil er plötzlich davon überzeugt war, dass dort etwas lauerte.
Nein. Nur Jonesys Garand, das da an der Wand lehnte.
Henry wollte sich schon abwenden, drehte sich dann aber doch noch einmal um. Das Garand schien frei von der Schmiere zu sein, und Henry nahm es. Geladen, durchgeladen, gesichert. Gut. Henry hängte es sich am Riemen über die Schulter und wandte sich dann wieder dem widerlichen roten Haufen zu, der vor der Badezimmertür wuchs. In der Hütte stank es nach Äther, vermischt mit etwas Schwefligem und etwas noch Widerlicherem. Henry ging langsam quer durch den Raum auf das Badezimmer zu und musste sich dabei zu jedem Schritt zwingen, weil er befürchtete (und sich zusehends sicher war), dass der rote Hügel mit den beinförmigen Ausläufern alles war, was von seinem Freund Biber noch übrig war. Bald würde er die struppigen Reste von Bibers langem schwarzem Haar erblicken oder seine Doc Marten’s, die Biber als sein »Lesben-Solidaritätsstatement« bezeichnet hatte. Der Biber war der Ansicht gewesen, Doc Marten’s wären Erkennungssignale für Lesben, und das hatte ihm keiner ausreden können. Er war ebenso fest davon überzeugt, dass Leute namens Rothschild und Goldfarb die Welt
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