Duddits - Dreamcatcher
verkrümmten Gliedmaßen so etwas wie ein Hakenkreuz.
Allmählich konnte er wieder sehen, und er hörte knirschende Schritte im Schnee. Er tastete um sich, und es gelang ihm, sich aufzusetzen. Er konnte noch nicht sagen, ob er sich etwas gebrochen hatte oder nicht.
Sechs Männer standen gut drei Meter hügelabwärts vor ihm, und ihre Schatten zeichneten sich auf dem wie mit Diamanten bestäubten Neuschnee ungewöhnlich lang und deutlich ab. Sie alle trugen Parkas. Sie alle hatten durchsichtige Atemmasken über Mund und Nase, die zwar leistungsfähiger aussahen als die Heimwerkermasken, die Henry im Schneemobilschuppen gefunden hatte, Henrys Vermutung nach aber dem gleichen Zweck dienten.
Die Männer hatten auch automatische Waffen, die jetzt alle auf ihn gerichtet waren. Jetzt kam es Henry eher wie ein Glücksfall vor, dass er Jonesys Garand und seine eigene Winchester beim Scout zurückgelassen hatte. Wäre er bewaffnet gewesen, dann hätte er jetzt wahrscheinlich ein Dutzend oder mehr Löcher im Leib gehabt.
»Ich glaube, ich habe es nicht«, krächzte er. »Wovor Sie auch Angst haben, ich glaube …«
»AUFSTEHEN!« Wiederum Gottes Stimme. Sie kam von dem Laster. Die vor ihm stehenden Männer verdeckten das grelle Licht wenigstens teilweise, und Henry sah weitere Männer am Fuße des Hügels an der Straßenkreuzung stehen. Auch sie waren bewaffnet, bis auf den, der das Megafon hielt.
»Ich weiß nicht, ob ich …«
»SOFORT AUFSTEHEN!«, befahl Gott, und einer der Männer vor ihm verlieh dem mit einer Bewegung seines Gewehrlaufs Nachdruck.
Henry stand schwankend auf. Seine Beine schlotterten, und das Fußgelenk, das er sich verrenkt hatte, tat höllisch weh, aber vorläufig war noch alles heil. Und so endet die Reise des Eiermanns, dachte er und fing an zu lachen. Die Männer vor ihm tauschten betretene Blicke, und obwohl sie ihre Gewehre auf ihn gerichtet hatten, tröstete ihn diese kleine menschliche Regung.
Im strahlenden Licht der auf den Tieflader montierten Scheinwerfer sah Henry etwas im Schnee liegen – es war ihm aus der Tasche gefallen, als er hingestürzt war. Da er wusste, dass sie ihn sowieso erschießen würden, bückte er sich langsam.
»NICHT ANFASSEN!«, schrie Gott mit seinem Megafon von der Fahrerkabine des Holzlasters herab, und jetzt hoben die Männer dort unten ebenfalls ihre Waffen, und aus der Mündung jedes Gewehrs guckte ein kleines Hello darkness, my old friend.
»Friss Scheiße und stirb«, sagte Henry – eine von Bibers besseren Leistungen – und hob das Päckchen auf. Mit einem Lächeln hielt er es den bewaffneten und maskierten Männern hin. »Ich komme in friedlicher Absicht, im Namen der gesamten Menschheit«, sagte er. »Möchte jemand ein Würstchen?«
Kapitel 12
Jonesy im Krankenhaus
1
Es war ein Traum.
Es kam ihm nicht wie einer vor, aber es musste einer sein. Zum einen hatte er den fünfzehnten März schon einmal durchgemacht, und es kam ihm fürchterlich unfair vor, das noch einmal durchmachen zu müssen. Zum anderen konnte er sich aus den acht Monaten zwischen Mitte März und Mitte November an alles Mögliche erinnern – wie er den Kindern bei den Hausaufgaben geholfen hatte, wie Carla mit ihren Freunden (viele davon aus dem Narcotics-Anonymous-Programm) telefoniert hatte, wie er in Harvard einen Vortrag gehalten hatte … und natürlich auch an die Monate der körperlichen Rehabilitation. Das ewige Beugen, das an den Nerven zehrende Kreischen, als sich seine Gelenke ganz, ganz widerwillig wieder streckten. Wie er zu Jeannie Morin, seiner Therapeutin, gesagt hatte, er könne das nicht. Wie sie ihm gesagt hatte, er könne das durchaus. Tränen auf seinem Gesicht, ein strahlendes Lächeln auf ihrem (dieses verhasste, durch nichts zu erschütternde Lächeln), und letztlich hatte sie dann doch recht behalten. Er konnte es, er war die kleine Dampflok, die das schon schaffen würde, aber was hatte es die kleine Dampflok gekostet.
An all das erinnerte er sich und auch noch an mehr: wie er zum ersten Mal aus dem Bett aufgestanden war, wie er sich zum ersten Mal den Hintern abgewischt hatte, die Nacht Anfang Mai, als er zum ersten Mal mit dem Gedanken Ich stehe das durch ins Bett gegangen war, die Nacht Ende Mai, in der er zum ersten Mal seit dem Unfall wieder mit Carla geschlafen und wie er ihr hinterher diesen alten Scherz erzählt hatte: Wie treiben es die Stachelschweine? – Gaaanz vorsichtig. Er konnte sich erinnern, wie er am Memorial Day dem Feuerwerk
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