Duddits - Dreamcatcher
bleibe.« Sie sah Henry in die Augen. »Darf ich bitte mit, Henry?«
»Wenn du mitkommst, könnte es sein, dass du vor seinen Augen umkommst«, sagte Henry – und hasste diese Grausamkeit und hasste sich selbst auch dafür, dass ihn die Arbeit, die er sein ganzes Leben lang geleistet hatte, so gut darauf vorbereitet hatte, jetzt auf genau die richtigen Knöpfe zu drücken. »Willst du, dass er das sieht, Roberta?«
»Nein, natürlich nicht.« Und dann, und das traf ihn mitten ins Herz: »Du Mistkerl.«
Sie ging zu Duddits, schob Owen beiseite und schloss ihrem Sohn flugs den Reißverschluss. Dann nahm sie ihn an den Schultern, zog ihn zu sich herunter und sah ihm starr in die Augen. Diese zierliche, dabei so starke Frau. Und ihr großer, blasser Sohn, der in seinem Parka fast verschwand. Roberta hatte aufgehört zu weinen.
»Sei schön brav, Duddie.«
»Bin bav, Amma.«
»Pass auf Henry auf.«
»Ach ich, Amma. Ich ass auf Ennie auf.«
»Und immer schön warm anziehen.«
»Ja.« Immer noch gehorsam, aber jetzt auch ein klein wenig ungeduldig, denn er wollte los, und woran Henry das alles erinnerte: wie sie losgezogen waren, um Eis zu holen, wie sie zum Minigolf gefahren waren (Duddits war bei diesem Spiel erstaunlich gut gewesen, und nur Pete hatte ihn hin und wieder schlagen können), wie sie ins Kino gegangen waren; immer hatte es geheißen: Pass auf Henry auf oder pass auf Jonesy auf oder pass auf deine Freunde auf; immer hatte es geheißen: Sei schön brav, Duddie und Bin bav, Amma.
Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß.
»Ich liebe dich, Douglas. Du bist mir immer ein guter Sohn gewesen. Und ich liebe dich sehr. Jetzt gib mir einen Kuss.«
Er küsste sie; sie streckte die Hand aus und streichelte seine Wange, die sich mit den Bartstoppeln wie Sandpapier anfühlte. Henry konnte es kaum ertragen zuzusehen, sah aber trotzdem hin, war dem so wehrlos ausgeliefert wie eine Fliege einem Spinnennetz, in dem sie sich verfangen hatte. Und jeder Traumfänger war auch so eine Falle.
Duddits gab ihr noch einen flüchtigen Kuss, schaute dabei mit seinen strahlenden grünen Augen aber schon zu Henry und der Haustür hinüber. Duddits wollte dringend los. Weil er wusste, dass die Leute, die Henry und seinen Freund verfolgten, schon so nah waren? Weil es ein Abenteuer war, genau wie die Abenteuer, die sie zu fünft in ihrer Kindheit bestanden hatten? Oder sowohl als auch? Ja, wahrscheinlich. Roberta ließ ihn los, und ihre Hände lösten sich zum letzten Mal von ihrem Sohn.
»Roberta, wieso hast du keinem von uns davon erzählt?« , sagte Henry. »Wieso hast du nicht angerufen?«
»Und warum seid ihr nie vorbeigekommen?«
Henry hätte vielleicht noch eine andere Frage gestellt – Wieso hat Duddits nicht angerufen? –, aber schon die Frage wäre einer Lüge gleichgekommen. Duddits hatte seit März, als Jonesy seinen Unfall hatte, mehrfach angerufen. Er dachte an Pete, wie er da neben dem umgestürzten Scout im Schnee gesessen, Bier getrunken und immer wieder DUDDITS in den Schnee geschrieben hatte. Duddits, der in seinem Nimmerland, von der Außenwelt abgeschnitten, im Sterben lag, hatte seine Botschaften ausgesandt und nur Schweigen zur Antwort bekommen. Schließlich kam einer von ihnen vorbei, aber nur, um ihn mit nichts weiter als einer Tüte voller Pillen und seiner alten gelben Lunchbox von zu Hause zu entführen. Der Traumfänger war auch kein Trost. Sie hatten es mit Duddits immer nur gut gemeint, sogar schon damals an diesem ersten Tag; sie hatten ihn aufrichtig geliebt. Und doch endete es nun so.
»Pass auf ihn auf, Henry.« Sie wandte sich an Owen. »Und Sie auch. Passen Sie gut auf meinen Sohn auf.«
Henry sagte: »Wir werden uns Mühe geben.«
15
Auf der Dearborn Street konnten sie nicht wenden; sämtliche Auffahrten waren mit Schnee zugepflügt. Im Morgenlicht sah die schlafende Wohngegend aus wie ein Städtchen irgendwo in den Weiten der Tundra Alaskas. Owen legte den Rückwärtsgang ein und brauste mit dem Humvee die Straße zurück, wobei das Heck des massigen Fahrzeugs unbeholfen hin und her wippte. Die hoch angebrachte, stählerne Stoßstange schrammte an einem unter Schnee verborgenen, am Straßenrand abgestellten Auto entlang, und man hörte Glas splittern. Danach durchbrachen sie an der Kreuzung wieder die Straßensperre aus gefrorenem Schnee, schwenkten halsbrecherisch in die Kansas Street ein und brausten in Richtung Highway. Die ganze Zeit über saß Duddits absolut selbstzufrieden auf
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