Duddits - Dreamcatcher
eingestürzt: Vorn, zur Straße hin, stand er offen, aber die Rückseite war fast vollständig winddicht. Und aus der dünnen Schneeschicht, die hineingeweht war, ragte das Ende einer schmutzig grauen Plane, an der Sägespäne und Holzsplitter klebten.
»Volltreffer«, sagte Henry und packte sie. Zunächst hing sie am Boden fest, doch als er mit aller Kraft daran zog, löste sich die Plane mit einem lauten Ratschen, einem Geräusch, bei dem er an die furzende Frau denken musste.
Die Plane hinter sich herziehend, trottete er zurück zu der Stelle, an der Pete, das Bein immer noch steif ausgestreckt, im Schnee neben der auf dem Bauch liegenden Frau saß.
8
Es war viel einfacher, als Henry zu hoffen gewagt hatte. Ja, sobald sie sie einmal auf der Plane hatten, war es ein Klacks. Sie war zwar kräftig gebaut, glitt aber wie auf Schmierseife über den Schnee. Henry war froh, dass es nicht fünf Grad wärmer war; bei klebrigem Schnee hätte das alles schon ganz anders ausgesehen. Und natürlich half es auch, dass sie auf einem geraden Straßenstück waren.
Der Schnee lag nun knöcheltief und fiel noch dichter als zuvor, aber die Schneeflocken waren jetzt größer. Es hört auf, hatten sie als Kinder enttäuscht gesagt, wenn sie solche Flocken gesehen hatten.
»He, Henry!« Pete hörte sich atemlos an, aber das war nicht weiter schlimm; der Schuppen war gleich voraus.
»Was?«
»Ich hab in letzter Zeit oft an Duddits gedacht. Ist das nicht seltsam?«
»Kein Prall«, sagte Henry spontan.
»Stimmt«, sagte Pete und lachte leicht nervös auf. »Kein Prall, kein Spiel. Aber das ist doch seltsam, oder?«
»Wenn das seltsam ist, dann sind wir beide seltsam«, sagte Henry.
»Wie meinst du das?«
»Ich habe auch an Duddits gedacht, und zwar schon seit einer ganzen Weile. Mindestens seit vergangenem März. Jonesy und ich wollten ihn besuchen …«
»Tatsächlich?«
»Ja. Dann hatte Jonesy den Unfall …«
»Der dumme alte Sack hätte gar nicht mehr fahren dürfen«, sagte Pete mit grimmiger Miene. »Jonesy hat Glück, dass er noch lebt.«
»Da hast du recht«, sagte Henry. »Sein Herz ist im Krankenwagen stehen geblieben. Die Sanitäter mussten ihn mit Elektroschocks zurückholen.«
Pete blieb mit großen Augen stehen. »Im Ernst? So schlimm war es? So knapp?«
Henry wurde bewusst, dass er indiskret gewesen war. »Ja, aber das solltest du für dich behalten. Carla hat es mir erzählt, und ich glaube, Jonesy weiß das gar nicht. Ich hatte jedenfalls nie …« Er machte eine wegwerfende Handbewegung, und Pete nickte, als verstünde er vollkommen. Ich hatte jedenfalls nie den Eindruck, dass er das weiß, hatte Henry sagen wollen.
»Ich behalt’s für mich«, sagte Pete.
»Das wäre wohl das Beste.«
»Und ihr habt Duds dann nicht besucht.«
Henry schüttelte den Kopf. »In der ganzen Aufregung um Jonesy habe ich nicht mehr daran gedacht. Dann war es Sommer, und du weißt ja, wie das ist …«
Pete nickte.
»Aber weißt du was? Ich habe gerade vorhin an ihn gedacht. Bei Gosselin’s.«
»Hat dich der Junge mit dem Beavis-and-Butthead-T-Shirt drauf gebracht?«, fragte Pete. Er sprach in weißen Dampfwölkchen.
Henry nickte. »Der Junge« hätte zwölf oder auch fünfundzwanzig sein können, bei Menschen mit Downsyndrom war das schwer zu sagen. Er war rothaarig gewesen und in dem schummrig beleuchteten kleinen Supermarkt durch den Mittelgang gewandert, neben einem Mann, der einfach sein Vater sein musste – die gleiche grün-schwarz karierte Jagdjacke und vor allem das gleiche karottenfarbene Haar, bei dem Mann schon so licht, dass die Kopfhaut durchschimmerte –, und der hatte ihnen einen Blick zugeworfen, der besagte: Ein Spruch über meinen Sohn, und ihr kriegt Ärger, und natürlich hatte keiner von ihnen etwas gesagt; sie hatten die gut zwanzig Meilen von ihrer Hütte dorthin zurückgelegt, um sich Bier, Brot und Hotdogs zu holen, keinen Ärger, und außerdem hatten sie früher Duddits gekannt, kannten ihn in gewisser Weise immer noch – schickten ihm jedenfalls Weihnachts- und Geburtstagskarten –, und Duddits war einmal, auf seine ganz eigene Art, einer von ihnen gewesen. Henry konnte Pete schlecht anvertrauen, dass er in seltsamen Momenten an Duds gedacht hatte, seitdem ihm vor gut sechzehn Monaten aufgegangen war, dass er sich umbringen wollte und dass alles, was er tat, dieses Ereignis entweder hinauszögerte oder vorbereitete. Einige Male hatte er sogar von Duddits geträumt und davon, wie der
Weitere Kostenlose Bücher