Duddits - Dreamcatcher
ihre Wege nie gekreuzt, aber es gab da diese Brache an der Kansas Street und das leer stehende Ziegelsteingebäude davor. Von der Straße aus konnte man immer noch in verblichener weißer Farbe SPEDITION & LAGERHAUS GEBR. TRACKER auf den alten roten Ziegeln lesen. Und auf der anderen Seite, an der großen Rampe, wo früher die Laster entladen wurden … da stand etwas anderes geschrieben.
Jetzt, da er im Schnee hockte und nicht mehr spürte, wie er unter seinem Hintern zu kaltem Schneematsch schmolz, und er sein zweites Bier trank, ohne sich überhaupt daran erinnern zu können, es aufgemacht zu haben (die erste leere Flasche hatte er in den Wald geworfen, wo er immer noch Tiere nach Osten wandern sah), erinnerte sich Pete an den Tag, an dem sie Duds kennengelernt hatten. Er erinnerte sich an Bibers blöde Jacke, die der Biber damals so geliebt hatte, und an Bibers Stimme, so dünn, aber doch auch so kräftig, wie sie das Ende von etwas und den Anfang von etwas anderem verkündet hatte, wie sie auf eine unfassbare, dennoch aber ganz reale und wahrnehmbare Weise verkündet hatte, dass sich der Lauf ihres ganzen Lebens an einem Dienstagnachmittag änderte, als sie lediglich vorhatten, bei Jonesy in der Auffahrt ein wenig Zwei-gegen-zwei und anschließend vor dem Fernseher dann vielleicht etwas Mensch ärgere dich nicht zu spielen; jetzt, da er hier im Wald neben dem umgestürzten Scout saß und immer noch das Parfüm roch, das Henry gar nicht getragen hatte, und das beglückende Gift seines Lebens trank, erinnerte sich der Autoverkäufer an den Jungen, der seinen Traum, Astronaut zu werden, noch nicht aufgegeben hatte, obwohl ihm Mathe zusehends schwerfiel (Jonesy hatte ihm geholfen, und dann hatte Henry ihm geholfen, und dann, in der zehnten Klasse, war ihm nicht mehr zu helfen gewesen), und er erinnerte sich auch an die anderen Jungen und vor allem an den Biber, der mit einem kieksigen Schrei seiner Stimmbruchstimme die ganze Welt auf den Kopf gestellt hatte: He, ihr da! Lasst das! Hört sofort auf damit!
»Biber«, sagte Pete und brachte im trüben Nachmittagslicht einen Toast auf ihn aus, mit dem Rücken an die Karosserie des umgestürzten Scouts gelehnt. »Du warst wunderbar, Mann.« Aber waren sie das nicht alle?
Waren sie nicht alle wunderbar gewesen?
4
Weil er in die achte Klasse geht und in der letzten Stunde Musik im Erdgeschoss hat, ist Pete immer schon vor seinen drei besten Freunden draußen, die ihre letzte Stunde immer im ersten Stock haben: Jonesy und Henry haben Amerikanische Literatur, also Lesen für Schlaue, und Biber nebenan Mathe fürs Leben, also eigentlich Mathe für Dumme. Pete sträubt sich noch mächtig dagegen, das im nächsten Jahr belegen zu müssen, aber diesen Kampf wird er wohl verlieren. Er kann addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren, und er beherrscht auch die Brüche, obwohl er viel zu lange dafür braucht. Aber jetzt gibt es da etwas Neues, jetzt gibt es da das x. Pete versteht das x nicht, und es macht ihm Angst.
Er steht draußen vor dem Tor am Maschendrahtzaun, während die übrigen Achtklässler und die kindischen Siebtklässler vorbeiströmen, steht da, kickt nach etwas und tut so, als würde er rauchen, eine Hand vor dem Mund gewölbt und die andere darunter verborgen – und die verborgene Hand ist die mit der fiktiven versteckten Kippe.
Und jetzt kommen da die Neuntklässler aus dem ersten Stock, und wie eine königliche Familie – ja, fast wie ungekrönte Könige, obwohl Pete so etwas Schwiemeliges natürlich nie aussprechen würde – kommen da auch seine Freunde Jonesy, Biber und Henry. Und wenn es denn einen König der Könige gibt, dann ist es Henry, für den alle Mädchen schwärmen, und das, obwohl er Brillenträger ist. Pete kann sich glücklich schätzen, solche Freunde zu haben, und das ist ihm bewusst – er ist wahrscheinlich der glücklichste Achtklässler von ganz Derry – x hin oder her. Und das hat kaum etwas damit zu tun, dass er mit Freunden aus der neunten Klasse von keinem harten Kerl aus der Achten verdroschen wird.
»He, Pete!«, sagt Henry, als die drei durch das Schultor geschlendert kommen. Wie stets wirkt Henry überrascht, ihn dort zu sehen, aber auch äußerst erfreut. »Was läuft denn so, Mann?«
»Nicht viel«, antwortet Pete wie stets. »Und bei euch?«
»SSAT«, sagt Henry, nimmt seine Brille ab und fängt an, sie zu putzen. Hätten sie einen Klub gegründet, dann wäre SSAT wahrscheinlich ihr Motto gewesen; sie
Weitere Kostenlose Bücher