Duddits - Dreamcatcher
immer noch Bestandteil der Erziehung, zumal bei Jungen). Den Gedanken, mit Gewehren mit scharfer Munition durch den Wald zu schleichen, während ihre Klassenkameraden brav die Schulbank drücken, finden sie unglaublich stark, und sie gehen an der Behindi-Akademie gegenüber vorbei, ohne auch nur hinzusehen. Die Sonderschüler haben zur gleichen Zeit Schulschluss wie die Kinder von der Derry Junior High, aber die meisten fahren mit ihren Müttern in einem gesonderten Behindertenbus nach Hause, der blau ist und nicht gelb und angeblich hinten drauf einen Aufkleber hat, auf dem HELFEN SIE GEISTIG BEHINDERTEN MENSCHEN – ODER ICH BRING EUCH UM! steht. Als Henry, Biber, Jonesy und Pete an der Sonderschule gegenüber vorbeigehen, laufen da immer noch ein paar der selbständigeren Behinderten rum, die allein nach Hause gehen dürfen. Sie glotzen mit diesem abstrusen, unablässig verwunderten Gesichtsausdruck. Pete und seine Freunde sehen sie wie immer, ohne sie wirklich zu sehen. Sie sind einfach nur Bestandteil der Welttapete.
Henry, Jonesy und Pete hören dem Biber ganz genau zu, der ihnen erzählt, wenn sie zu ihrer Hütte fahren, müssten sie runter in die Schlucht, denn dort seien die kapitalen Hirsche, da unten mögen sie das Gestrüpp. »Mein Dad und ich, wir haben da schon ’ne Milliarde Hirsche gesehen«, sagt er. Die Reißverschlüsse an seiner alten Motorradjacke klimpern so lustig.
Sie streiten darüber, wer den größten Hirsch erlegen wird und wohin man am besten zielen solle, um das Tier mit einem Schuss niederzustrecken und nicht leiden zu lassen. (»Mein Vater sagt aber, Tiere leiden nicht so wie Menschen, wenn sie verletzt werden«, sagt Jonesy. »Er sagt, Gott hat sie anders geschaffen, damit es für uns in Ordnung ist, sie zu jagen.«) Sie lachen und zanken sich und streiten darüber, wer denn wohl seinen Lunch wieder von sich geben werde, wenn es darangeht, die Beute auszunehmen, und die Behindi-Akademie haben sie längst hinter sich gelassen. Vor ihnen, auf ihrer Straßenseite, ragt das klobige Ziegelsteingebäude auf, in dem die Gebrüder Tracker früher ihr Unternehmen hatten.
»Wenn einer kotzt, dann bestimmt nicht ich«, dröhnt Biber. »Ich habe tausendmal Hirschinnereien gesehen. Das macht mir überhaupt nichts. Ich weiß noch, als wir …«
»He, Jungs«, unterbricht ihn Jonesy, plötzlich aufgeregt. »Wollt ihr die Möse von Tina Jean Schlossinger sehen?«
»Wer ist Tina Jean Sloppinger?«, fragt Pete, ist aber auf Anhieb fasziniert von der Idee. Überhaupt irgendeine Möse zu sehen kommt ihm schon sehr verlockend vor; er schaut sich immer die Penthouse und Playboy seines Vaters an, die der in seiner Werkstatt hinter dem großen Werkzeugkasten versteckt. Mösen sind ein hochinteressantes Thema. Er kriegt dabei keinen Steifen, und es macht ihn auch nicht so an wie blanke Titten, aber das liegt wohl daran, denkt er, dass er noch ein Kind ist.
Also: Mösen sind wirklich interessant.
»Schlossinger«, sagt Jonesy lachend. »Sie heißt Schlossinger, Petesky. Die Schlossingers wohnen bei mir zwei Ecken weiter und …« Er hält plötzlich inne, weil ihm eine wichtige Frage eingefallen ist, die sofort geklärt werden muss. Er wendet sich an Henry. »Sind die Schlossingers Juden oder Republikaner?«
Jetzt ist es an Henry, über Jonesy zu lachen, aber es ist nicht böse gemeint. »Genau genommen kann man wohl auch beides sein … oder nichts von beidem. Aber von Religion und Politik mal abgesehen«, sagt Henry, immer noch lachend. »Wenn du ein Bild hast, auf dem Tina Jean Schlossinger ihre Möse herzeigt, dann will ich es sehen.«
Der Biber ist mittlerweile sichtlich erregt – rote Wangen, strahlende Augen, und er steckt sich einen neuen Zahnstocher in den Mund, ehe er mit dem alten auch nur halb fertig ist. Die Reißverschlüsse seiner Jacke, die Bibers älterer Bruder während seiner vier- oder fünfjährigen Rockerphase getragen hatte, klimpern schneller.
»Ist sie blond?«, fragt der Biber. »Blond und auf der Highschool? Supergut aussehend? Hat sie …« Er wölbt die Hände vor der Brust, und als Jonesy grinsend nickt, wendet sich Biber an Pete und platzt los: »Sie ist dieses Jahr Homecoming Queen der Highschool, du Arschgeige! Ihr Bild war in der Zeitung! Mit Richie Grenadeau auf dem Festwagen!«
»Ja, aber die beschissenen Tigers haben das Homecoming-Spiel verloren, und Grenadeau hat sich dabei die Nase gebrochen«, sagt Henry. »Die erste Highschool-Mannschaft aus Derry, die je
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