Duell auf offener Straße
aber das Futter, sobald er den anderen wahrgenommen hat. Bei der Ablenkung bekommt er die Belohnung, wenn er sich richtig verhalten hat.
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Auch der Begriff Umlenkung sollte von dem der Ablenkung abgegrenzt werden. Bei einer Umlenkung darf der Hund sich weiterhin aggressiv verhalten; seine Handlung wird ausschließlich auf ein anderes Objekt umgelenkt. Zum Beispiel lässt man ihn in eine Beißwurst beißen und ermöglicht ihm so, seine Aggression herauszulassen. Ob dadurch viel gewonnen ist, ist sicherlich fraglich, aber die Umlenkung ist als weitere Methode an dieser Stelle zu nennen.
Falsches Timing
Falsches Timing und der dadurch begünstigte Aufbau von Handlungsketten ist sowohl bei den verstärkenden als auch bei den bestrafenden Mustern ein Problem. Bei der Bestrafung erklärt es unter anderem das Phänomen des Masochismus, dazu später aber mehr. Auch bei der positiven Verstärkung kann ein Fehler im Aufbau der Arbeit zum Gegenteil des Lernziels führen.
Bei einer Umlenkung verändert sich das Verhalten nicht, sondern wird nur auf ein anderes Objekt gelenkt.
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Wer zum Beispiel seinen Hund oft zurückruft, wenn dieser sich entfernt, und ihn dann mit Futter bestätigt, wird etwas feststellen. Subjektiv gesehen, trainiert der Mensch am Rückruf, der Hund lernt aber nebenbei etwas ganz anderes. Der fragt sich, wenn er an der Belohnung interessiert ist, wie er an sie herankommt. Das Lernergebnis wird sein, dass der Hund häufig wegläuft. Seltsam? Nein, gar nicht. Denn er hat gelernt, dass er sich entfernen muss, damit der Rückruf und die damit verbundene Futterbelohnung kommt. Man nennt das eine Handlungskette. Eigentlich wäre es sinnvoller, dem Hund Futter zu geben, wenn er bei einem bleibt, und ihm nichts für das Weglaufen zu geben. Wenn man bei einer Leinenaggression mit Futter arbeiten möchte, ist es wichtig, darauf zu achten, dass der Hund in der kompletten Situation der Begegnung ruhig ist und nur dies belohnt wird. Beginnt man im Konflikt jeden Blick des Hundes zum Menschen zunächst zu bestätigen (Shaping), obwohl er sich zwischendurch aggressiv verhält, kann die Folge das Lernen einer Handlungskette sein: bellen, gucken, Futter. Damit bleibt und festigt sich das Problem. Gerade bei der Ablenkung ist dieser Fehler fatal.
Futter für den Täter
Stellen Sie sich vor, wie sich zwei Mütter mit ihren vierjährigen Söhnen an der Hand begegnen. Die eine ruft bereits auf Entfernung: „Ist das ein Junge?“ Und die andere nickt auf die Frage hin deutlich verspannt. Nun holen beide eine Tüte Gummibärchen aus der Tasche und halten sie ihren Söhnen vors Gesicht und lenken die zwei aneinander vorbei. Danach nehmen sie jeweils ein paar Gummibärchen aus der Tasche und übergeben sie ihren Söhnen mit den Worten: „Danke, wie lieb, dass du nicht aggressiv warst.“ Sie finden das seltsam? Bei Hunden ist das heutzutage völlig normal. Das Verrückte ist, dass immer nur die Hunde Futter in Hundebegegnungen bekommen, die sich irgendwann einmal aggressiv verhalten haben. Wer immer entspannt an der Leine war, bekommt nichts. Hunde lernen leider nicht nur das, was Menschen gern hätten. Neben der Belohnung der richtigen Verhaltensweise wird auch die gesamte Lernsituation mitgelernt. Das heißt, durch die Belohnung wird die Begegnung mit anderen Hunden aufgewertet. Eigentlich sollte es das Ziel sein, dem Hund die Chance zu geben, Hundebegegnungen als normal und trivial zu erleben. Doch das kann schwierig werden, wenn jedes Treffen an der Leine zum Highlight wird. Warum sollte ein Hund mit dem Bellen aufhören, wo es doch so wichtig erscheint?
Jeder hat seine eigene Wahrheit
Bei einem Hund glauben wir Menschen gern, dass wir allein es sind, die sein Verhalten verstärken, und wir es nur richtig machen müssen. Das heißt, wir belohnen ihn, wenn er ruhig und abwartend sitzt, und geben ihm nichts, wenn er penetrant fordert. Viele Lernerfahrungen von Hunden haben aber wenig mit der Reaktion des Menschen im Sinne einer Verstärkung zu tun. Bei einer Aggression an der Leine können sowohl der eigene Mensch, der andere Hund, herumstehende Menschen, Futter, ein Ball, aber auch eine hormonelle Ausschüttung belohnen. Was dem Hund wichtig ist, verstärkt ihn. Aggression hat einen hohen Mitmacheffekt und sie kann durchaus selbstbelohnend sein. Wenn sich zum Beispiel die Aggression sozial verstärkt, wird es schwierig, über Futter mit diesem Verstärker in Erfolg versprechende
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