Duell der Magier 01 - Unter den magischen Monden
Als der Nachmittag verstrich, rückte der Schatten des Schmerzes näher und näher, bis sie ihn nicht mehr ignorieren konnte. Sie setzte sich in den Sand, zog die Knie an, ließ die Arme leicht darauf ruhen und schaute hinaus aufs Wasser. Sie fragte sich, was der Nori mit ihr machen würde. Sie schauderte, als sie an die Schmerze der vergangenen Nacht dachte und wußte, daß sie das nicht noch einmal ertragen könnte und daß sie alles tun würde, was er verlangte, um das nicht noch einmal aushalten zu müssen Wenn sie die Augen schloß, sah sie wieder das goldene Tal vor sich, wußte, daß sie es vom Noris nicht besudeln lassen durfte und wußte gleichzeitig, daß sie nicht länger die Kraft aufbrachte, ihn aufzuhalten. Zu welcher Seite die Waage nun endgültig ausschlagen würde, konnte sie nicht sagen. Sie schlug die Augen auf, schaute auf die endlose, blaue Weite der See hinan und fragte sich, wo der Garten mit der weitläufigen Anlage wohl liegen mußte, der aus dem Berghang herauszuwachsen und alles Leben so üppig und zufriedenstellend hervorzubringen schien.
Dorthin werde ich gehen. Ich werde irgendwie von hier wegkommen. Dorthin gehöre ich wirklich.
Sie drehte ihren Kopf und musterte das braunschwarze Gestein des Felsens, das in den schwarzen Stein des Turmes überging. Der Gegensatz zwischen dem Leben im Tal und der Leblosigkeit des Steins krampfte ihr den Magen vor Sehnsucht zusammen, dort und nicht hier zu sein; verschwommen begann sie den Wunsch des Noris zu begreifen, dieses Wunder zu besitzen, obgleich seine Inbesitznahme zugleich das Ende dieses Zustandes bedeuten würde.
Sie rieb sich den Nacken und beobachtete, wie die schäumende Brandung zu ihren Zehen emporkroch. Einige Inseln ragten wie kahle Zahnstümpfe aus dem Wasser. Dahinter konnte sie nichts sehen als das endlos wogende Meer.
Ich weiß nicht einmal, wo Land liegt,
dachte sie.
Oder wo das Tal zu suchen wäre.
Als sie diese intensive Sehnsucht nach dem Tal empfand, begann ihr Augenfleck zu pochen und zog ihren Kopf herum, bis sie in südöstliche Richtung blickte. »Das Tal?« flüsterte sie. »Ja, ja.« Sie sprang auf und tanzte lange im Sand herum. »Ich kann dich finden, das kann ich. Das werde ich, oh ja, das werde ich.«
Der Noris ließ sie an diesem Tag ganz in Ruhe. Sie konnte in der Nacht gut schlafen und verbrachte den folgenden Tag drunten am Strand mit Überlegungen, wie sie das Wasser überwinden konnte, die blaue Schranke, die allen ihren Anstrengungen Hohn sprach.
Die Dämmerung stand rot in ihrem Fenster, als der Noris sie am nächsten Morgen wachrüttelte. Er stand mit traurigem Gesicht über sie gebeugt. Seine Hand ruhte auf ihrer Schulter, als sie sich aufsetzen, und er schüttelte den Kopf, als sie etwas sagen wollte. Nach einigen Augenblicken des Schweigens sprach er ein WORT und ließ sie allein. Der Schmerz war zurückgekehrt. Wieder Morgen. Sie kroch zu seinen Füßen und weinte und flehte. Er enthob sie des Schmerzes. Wieder hielt er sie im Arm, während sie zitterte und schluchzte, wieder ließ er sie in Ruhe, diesmal für drei Tage. Jeden Abend schlich sie sich in ihr Zimmer zurück und erwartete neue Schmerzen, doch am dritten Tag begann sie zu hoffen, ihre Prüfung möge vorüber sein. Niemals zuvor hatte er sie so lange und so hart bestraft. Sie fragte sich allmählich, ob ihr Verhalten wirklich einen Verrat an ihn darstellte. Sie liebte ihn trotz allem und wollte ihm unbedingt gefallen. Das Tal – sie wußte nichts darüber; vielleicht war ei eine Falle, nur eine Falle. Ihr schauderte jedesmal, wenn sie an die Schmerzen dachte, schauderte nochmals, wenn sie sich a die Trauer in den dunkel leuchtenden Augen ihres Vaters Freundes und Lehrers erinnerte.
Am nächsten Morgen stand er neben ihrem Bett. Sie wollt ihm sagen, daß sie sich fügte, doch er wollte sie nicht anhören. Er maß ihre Stärke durch die seine und wollte ihr nicht glauben. Er sprach das WORT und ging, rannte fast davon, verfolgt von ihren Schreien.
Diesmal dauerten die Schmerzen zwei Tage. Als er zurückkehrte, kroch sie zu ihm, von Sinnen durch die Qualen und' ohne einen Rest Willenskraft. Er sprach das WORT, und der Schmerz war weg, doch sie lag noch immer reglos, schluchzend, bettelnd, ohne auch nur zu begreifen, daß das Feuer » erloschen war. Als er sie anhob und zum Bett trug, zuckte sie vor ihm zurück voller Entsetzen, unfähig zu denken, unfähig, ihren Körper in die Gewalt zu bekommen. Vor ihren Augen verschwamm er, wurde
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