Duell im Eis
Uhr danach stellen.« Vizeadmiral Schesjekin gab Professor Kratjinzew einen Wink, mit dem Vortrag fortzufahren.
»Die Geologen rechnen nach Jahrhunderten, Jahrtausenden, Jahrmillionen. Wer weiß, wann und was uns bevorsteht …«
Dieser Vortrag blieb in den Hirnen haften. Nicht, weil Kratjinzew so gut dozierte – seine Stimme war einschläfernd, monoton, eine typische Kathederstimme, die zum Gähnen reizte –, im Gedächtnis blieb, daß man in einer Eiswüste ankern würde, einsamer als Tundra und Taiga, erdrückender als die Gobi oder das Karakorum, beklemmender als Tibet und der Himalaja.
»Ihr habt nur euch«, hatte Kratjinzew gesagt, und darauf baute Braslowski, als er dem Genossen Admiral vorschlug, ein eigenes Varieté, einen Zirkus zu gründen und die Langeweile einfach wegzuspielen und wegzusingen. Langeweile kann tödlich werden, wenn fast 700 Männer auf engstem Raum sie gemeinsam überstehen müssen. 700 Männer und nur eine einzige Frau – um weniger ist schon gemordet worden, um lächerliche zehn Rubel in einer Geldbörse oder um einen Kanten Brot im Straflager von Tjumen.
Nun hatten sie das erste Ziel erreicht, den gewaltigen Matusevichgletscher und den Eisfjord vor ihm. Weiter hinauf wollte Schesjekin nicht. Dort lagen die Admiralitäts-Kette, die Ross-Insel und vor allem die amerikanische Forschungsstation McMurdo. Hier, an der Sturge-Insel, war man sicher, nicht gesehen zu werden. Ein Trupp mit einer Barkasse hatte schon nach 300 Metern gemeldet: »Kein Erkennen von Schiffen mehr. Sieht alles aus wie Eis.«
»Die Tarnung ist vollkommen!« sagte Schesjekin. »Mit der weißen Farbe sind wir unsichtbar geworden. Es gibt uns nicht mehr.«
»Möge das nie wahr werden, Genosse Admiral.« Braslowski atmete ein paarmal tief ein. »Ich möchte Rußland wiedersehen.«
»Wir alle werden es wiedersehen. Feiern wird man uns.« Schesjekin klopfte Braslowski auf die Schulter. »Alles hängt jetzt davon ab, was Malenkow an Informationen über ›Morgenröte‹ mitbringt. Und wenn er sagt: ›Unmöglich‹, dann werden wir beweisen, daß wir Russen das Unmögliche möglich machen. Denken wir an unsere tapferen Genossen im Weltall. Den Amerikanern sind sie um Jahre voraus, und hier werden wir es auch sein!«
Die Offiziere des Flugzeugträgers ›Lincoln‹ empfingen die neuen Gäste freundlich, mit großer Höflichkeit, aber doch etwas reserviert. Den Enthusiasmus der Generäle Pittburger und Seymore teilten sie nicht; zum einen kam die ganze Aktion aus der Ecke der Air Force, was einen Seemann schon kritisch werden ließ, zum anderen war die Aussicht, für Monate in einem Eisfjord als Basis einer geheimen Aktion festzuhängen, durchaus nicht verlockend. Solange man auf dem Pazifik herumkreuzte, von Insel zu Insel, auf denen es jede Menge hübscher Mädchen gab, war der Dienst erträglich, ja manchmal sogar schön. Aber hier, am Südpol, im ewigen Eis, gab es keine Bars, keine willigen Weiber, denen man Dollarnoten zwischen die Brüste stecken konnte, keine Schlägereien mit Eingeborenen, absolut nichts, wo man den angestauten Dampf ablassen konnte. Monate in dieser schweigenden Einsamkeit, nur Eis und über Eis und Meer wehender Schnee, nur grauweißer Nebel oder strahlend klare Tage mit einer Sonne, die nicht wärmte, nur immer Frost, brennend eisige Winde – das ist eine Zukunft, die niemand zur Fröhlichkeit anregt.
Die Wissenschaftler und auch Virginia Allenby hatten schwere Wochen hinter sich. Das heimliche, dreifach abgesicherte Camp bei Upperville erwies sich nicht als ein Ort der Erholung, sondern als ein äußerst hartes Trainingslager.
Mit amerikanischer Perfektion wurde jeder, der für das Projekt ›Big Johnny‹ vorgesehen war, auf den Aufenthalt in der Antarktis vorbereitet. Das begann mit dem Aufenthalt in Unterkühlkammern, die bis zu minus 60 Grad heruntergedrückt wurden und in denen sie mit dicken Pelzen ausharren mußten, und mit Übungen, bei denen sie mit Gummithermoanzügen im eisigen Wasser schwimmen mußten. Sie lernten auch, Möwen in Schlingen zu fangen, sie zu töten, zu rupfen und auszuweiden und dann roh zu essen, an Bindfäden mit einfachen Haken holten sie Fische aus dem Wasser und aßen sie ebenfalls roh: ein Überlebenstraining, das vor allem die Wissenschaftler nicht begriffen.
»Ich denke, wir bauen eine richtige Basis?« reklamierte Dr. Smith empört. Er hatte sich geweigert, noch einmal in die Kühlkammer zu steigen.
»So ist es, Sir.« Der ausbildende Offizier,
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