Duell im Eis
Wärme füllte, wie es keine eisige Luft mehr gab, keinen schneidenden Wind, hörte das Kreischen der jetzt von allen Seiten heranschießenden Möwen und das Knirschen der Eisschollen an den Stahlplatten des Schiffes, eine neue Welt, die offen vor ihr lag.
Adieu, Lester Sinclair-Brown, adieu … Ich bin nicht mehr in deiner Welt, und ich kehre auch nie wieder dahin zurück …
Das Funktelegramm, das über Satellit und codeverschlüsselt die ›Nadeshna‹ erreichte, war kein Anlaß für Vizeadmiral Schesjekin, sich Sorgen zu machen.
Braslowski, der den Text, vom Funkoffizier übersetzt, zu Schesjekin brachte, zeigte dagegen eine betroffene Miene. »Wie erwartet, Genosse Admiral!« sagte er, noch bevor Schesjekin das Papier gelesen hatte.
»Wie erwartet! Was heißt das, Iwan Gregorowitsch? Sind wir denn allein auf der Welt?« Schesjekin wedelte mit dem Papier durch die Luft und las den Text noch einmal durch.
»Die neuesten Satellitenfotos zeigen, daß ein amerikanischer Flugzeugträger Kurs auf die Antarktis genommen und die Treibeisgrenze bereits erreicht hat. Kursberechnungen ergeben, daß er in das Ross-Meer vordringen wird und damit unmittelbar in unser Operationsgebiet. Ob er versuchen wird, den Eisberg anzusteuern, ist noch ungewiß. Die Fotos zeigen auch eine Verstärkung der amerikanischen Station McMurdo. Der Kurs des Flugzeugträgers wäre in Richtung McMurdo möglich. Es wird äußerste Vorsicht befohlen! Keine Konfrontationen! Der Verband wird angewiesen, alle Operationen auf die neue Lage abzustimmen. Meldungen an I./IV. täglich. Wir unterrichten über weitere Bewegungen der Amerikaner.«
Schesjekin warf das Telegramm auf den Tisch und sah Braslowski fordernd an. »Die Hose flattert Ihnen, Braslowski. Warum denn?«
»Der Genosse Malenkow muß mit ›Gorki‹ den Kurs des Flugzeugträgers kreuzen, um ›Morgenröte‹ zu erreichen. Wenn er in dessen Sonarbereich kommt …«
»Jurij Adamowitsch ist kein Idiot! In zwei Stunden fährt er die Antenne aus, und wir geben ihm die Meldung durch.«
»Die Amerikaner werden Beobachtungsflugzeuge losschicken.«
»Wir sind unsichtbar.« Schesjekin lehnte sich zurück. »Wir sehen von oben aus wie kleine Eisberge. Sie haben es doch gelesen, Genosse: Die Amerikaner bauen McMurdo aus. Der Eisberg interessiert sie nicht. Hier, bei der Sturge-Insel, sucht uns keiner. ›Morgenröte‹ schwimmt im Ross-Meer, das ist über 1.200 km weit entfernt. Und Malenkow mit seinen U-Booten ist noch unsichtbarer als wir. Iwan Gregorowitsch, wir haben die besseren Karten.«
Am Abend meldete sich endlich die ›Gorki‹. Malenkows Stimme klang etwas dünn und leise, und Schesjekin knurrte wütend: »Längst wären wir der mächtigste Staat der Welt, wenn man nicht so viel Ausschuß bauen würde. Die Amerikaner werfen die Hälfte weg, weil sie davon zu viel haben; wir werfen die Hälfte weg, weil es Mist ist! – Jurij Adamowitsch, Ihre Meldung.«
»Genosse Admiral, keine besonderen Vorkommnisse. Wir sind gut vorangekommen und befinden uns 340 Seemeilen von ›Morgenröte‹ entfernt. Wir liegen auf Antennentiefe, über uns ist dichtes Treibeis. Die Stimmung an Bord ist gut. Alle warten auf den großen Augenblick, wo wir die Fahne der Sowjetunion in das Eis unseres Berges stecken werden.«
»Wir sind stolz auf Sie, Jurij Adamowitsch.« Schesjekin warf einen triumphierenden Blick zu Braslowski. Unsere neuen Helden sind das, hieß dieser Blick. Die stillen, unbekannten Helden. Und von denen haben wir viele – wir sprechen nur nicht darüber. Rußland war immer ein Volk der Tapferen, sonst hätten wir die Jahrhunderte nicht überstanden. »Nur – eine neue Situation ist eingetreten.«
»Sie sitzen im Eis fest, Genosse Admiral?«
»Darauf sind wir vorbereitet. Nein, die Amerikaner sind da!«
»Auf der ›Morgenröte‹?«
»Nein. Satellitenfotos zeigen, daß sie ihren Stützpunkt McMurdo ausbauen. Ein Flugzeugträger ist auf dem Weg ins Ross-Meer. Er muß Ihren Weg kreuzen, Malenkow. Sie dürfen sich auf keinen Fall bemerkbar machen. Wenn die Amerikaner Sie orten, wird man Moskau auf die Stiefel steigen.«
»Es könnte auch ein neuseeländisches oder argentinisches U-Boot sein, Genosse Admiral. Wer vermutet uns am Südpol?«
»Die Amerikaner sind keine Dummköpfe, Malenkow.«
»Irgendeinen Verdacht können sie nur haben, wenn sie selbst den Eisberg besetzen wollen.«
»Jurij Adamowitsch, das ist logisch.« Schesjekin kratzte sich das dicke Kinn. »Der beste Weg nach
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